Archiv für den Monat Januar 2011

27. Januar – Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Der 27. Januar ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“
[Roman Herzog]

Immer häufiger hört man „Das ist doch alles Vergangenheit, ich will davon nichts mehr hören“, und parallel nimmt die Zahl derer, die den Nationalsozialismus für „doch gar nicht so falsch“ halten zu, parallel erhalten rechts gesinnte Parteien mehr Zuspruch und immer weniger fundiertes Wissen findet den Weg in die Köpfe der Menschen.

Erinnern ist wichtig!

Erinnern bedeutet nicht, den moralischen Zeigefinger zu schwingen, sondern es bedeutet, derer zu gedenken, die ihr Leben lassen mussten und derer, deren Leben nachhaltig beeinflusst und zerstört wurde. Erinnern an eine Zeit, in der schon eine „falsche Abstammung“ (man beachte hierbei bitte die Anführungszeichen), eine psychische Störung, eine geistige oder körperliche Behinderung oder eine von der herrschenden Mehrheit abweichende Weltanschauung ausreichten, um als „lebensunwert“ abgestempelt zu werden.

Erinnern bedeutet, nicht zu vergessen.

Anlässlich des 27. Januars möchte ich euch heute fünf Bücher vorstellen, die dabei helfen, nicht zu vergessen.

Eugen Kogon: Der SS-Staat

Eugen Kogon (1903-1987), Autor dieses Buches, gilt als einer der „intellektuellen Gründerväter der Bundesrepublik Deutschland“.
Er war Publizist, Soziologe und Politikwissenschaftler, Sohn eines jüdisch-russischen Diplomaten und Katholik.
Kogon war schon früh ein Gegner des Nationalsozialismus, wurde erstmals 1936 von der Gestapo verhaftet und schließlich 1939 in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen überlebte Kogon das Konzentrationslager und begann direkt nach Kriegsende damit, das Buch „Der SS-Staat“ zu verfassen, welches 1946 erstmals veröffentlicht wurde. Seitdem ist es in zahlreichen Auflagen erschienen, wurde häufig aktualisiert und gilt als eines der Standardwerke über die Verbrechen des Nationalsozialismus.

Das Buch analysiert den Aufbau und den beabsichtigten Zweck der Konzentrationslager, berichtet vom Alltag in den Lagern, vom Miteinander und auch von Konflikten der Häftlinge, vom Überlebenskampf und den Verbrechen vonseiten der Nationalsozialisten.
Obwohl Kogon als ehemaliger Häftling aus erster Hand berichtet, ist sein Schreibstil sehr sachlich.
Er dokumentiert und verzichtet dabei auf plakative oder emotionsüberladene Sprache, ebenso auf pauschale Schuldzuweisungen. Genau dieser Stil ist es, der dafür sorgt, dass so manche Passage des Buches einen direkt wie ein Schlag in den Magen trifft. Seine Schilderungen, in diesen nüchternen Stil verpackt, machen das ganze Ausmaß nationalsozialistischer Verbrechen verständlich und helfen, das Konzept der Konzentrationslager und deren ganz eigene Gruppendynamik nachvollziehen zu können.

Von mir gibt es für dieses Buch eine unbedingte Leseempfehlung.

Broschiert: 432 Seiten
Verlag: Nikol Verlag
ISBN-13: 978-3868200379

Carlo Ross: Im Vorhof der Hölle: Ein Buch gegen das Vergessen.

1942 wird der 14-jährige Jude David Rosen nach Theresienstadt gebracht.
Dieses Lager, von den Nazis als »Vorzeige-KZ« konzipiert um es der Presse und ausländischen Besuchern vorzuführen, wird von seinen Bewohnern auch »Vorhof zur Hölle« genannt.
Jeder hier weiß, dass es aus Theresienstadt nur einen Weg gibt: in die Vernichtungslager.
David merkt schnell, dass hinter der künstlichen Fassade der gleiche brutale Alltag von Terror und Angst herrscht, dem die Juden in dieser Zeit überall ausgesetzt sind.

Er hat nur ein Ziel: Er will überleben.

Quelle: DTV

Das Buch ist in der Ich-Perspektive gehalten und zeichnet sich durch eine einfache, oft sachliche und immer gut verständliche Sprache aus. Es wendet sich vor allem an jugendliche Leser und ist gewissermaßen die Fortsetzung des Buches „…aber Steine reden nicht“, das ebenfalls von David handelt und sich mit den Verfolgungen durch die Nationalsozialisten im Jahr 1938 befasst. Beide Bücher sind auch unabhängig voneinander gut zu lesen.

Taschenbuch: 288 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-13: 978-3423780551
empfohlenes Alter: 12 – 14 Jahre

Hans Peter Richter: Damals war es Friedrich.

Zwei Jungen wachsen im selben Haus auf und gehen in die selbe Schulklasse. Jeder wird als einziges Kind von verständnis- und liebevollen Eltern erzogen. Selbstverständlich werden sie gute Freunde und jeder ist in der Familie des anderen daheim. Doch Friedrich Schneider ist Jude und allmählich wirft der Nationalsozialismus seine Schatten über ihn. Langsam gleitet die Geschichte aus der heilen Kinderwelt in ein unfassbares Dunkel.

Quelle: DTV

Dieses Buch ist bei vielen Lehrern seit vielen Jahren Bestandteil des Geschichtsunterrichts. Friedrichs Geschichte steht exemplarisch für die Geschichte vieler jüdischer Kinder. Doch oft wird es einfacher, die Dinge zu begreifen, wenn man sie anhand eines einzelnen, konkreten Beispiels berichtet bekommt – so wie hier am Beispiel des kleinen Friedrich.

Taschenbuch: 141 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-13: 978-3423078009
empfohlenes Alter: 12 – 14 Jahre

Margret Hamm/ Walburga Borgert/ Sabine Henning-Blome (Hgg.): : Lebensunwert – zerstörte Leben: Zwangssterilisation und „Euthanasie“

Das Vergangene ist nie tot; es ist nicht einmal vergangen.“
[William Faulkner]

1933 trat das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft. Infolgedessen wurden rund 350.000 Menschen durch Zwangssterilisation ihrer Fortpflanzungsfähigkeit beraubt und 300.000 Menschen nach 1939 als „lebensunwert“ stigmatisiert.

Das Buch gibt einen thematischen Überblick und ist in zwei Blöcke unterteilt: Im ersten Teil findet man exemplarische Lebensgeschichten, während im zweiten Teil die Forschung zu Wort kommt.
Dazu gibt es viele Abbildungen und weiterführende Fußnoten.

Broschiert: 254 Seiten
Verlag: Vas-Verlag für Akademische Schriften
ISBN-13: 978-3888643910

Margret Kampmeyer/ Cilly Kugelmann/ Marie Naumann (Hgg.): Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus.

„Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus“ befasst sich mit der Entwicklung und Radikalisierung des nationalsozialistischen Rassenwahns.

Dieses Buch enthält Beiträge verschiedener Autoren, unter anderem von Hans-Walter Schmuhl, Gerrit Hohendorf, Maike Rotzoll, Thomas Beddies und Petra Fuchs (wer sich bereits einmal mit der Thematik befasst hat, dem werden diese Namen sicherlich geläufig sein). Dazu kommen zahlreiche Abbildungen und neun Lebensgeschichten.

Es gibt fünf Oberkategorien in dem Buch:
– Das „Dritte Reich“ als biopolitische Entwicklungsdiktatur
– Die Zwangssterilisierung
– Die Aktion T4
– Die Tötung „lebensunwerter“ Kinder im Nationalsozialismus
– Der dezentrale Krankenmord

Dieses Buch setzt etwas Vorwissen voraus, dürfte für an der Thematik Interessierte jedoch sehr aufschlussreich sein. Zahlreiche Fußnoten verweisen dann auf weiterführende Lektüre.

Broschiert: 135 Seiten
Verlag: Wallstein
ISBN-13: 978-3835304680

Herbert Beckmann / Mark Twain unter den Linden

„I don’t believe there is anything in the whole earth that you can’t learn in Berlin except the German language.“
[Mark Twain nach seinem Aufenthalt in Berlin im Winter 1891/92]

Mark Twain liebt die deutsche Sprache und Berlin – aber die deutsche Sprache und Berlin lieben nicht unbedingt zurück. Kein Fettnäpfchen lässt der beliebte amerikanische Schriftsteller während seines Berlin-Aufenthaltes aus, düpiert die deutschen Verwandten, den Adel und obendrein auch noch den Kaiser höchstpersönlich. Zum Glück hat er seinen treuen Sekretär Harris, der sich um die daraus resultierenden Probleme kümmert…

Aus dem Klappentext:
Berlin, 1891. Der Kaiser steht stramm, um Mark Twain zu empfangen. Wissenschaftler wie Virchow und Helmholtz schmücken sich mit seinem Besuch. Und beim amerikanischen Botschafter geht er mitsamt seiner Familie ein und aus. Als Mark Twain im Herbst und Winter des Jahres 1891 in Berlin lebt, kann er sich über öffentliche Würdigungen nicht beklagen. Doch hinter der heilen Fassade spielen sich mysteriöse Dinge ab: Twains Scherze kommen nicht bei allen gut an, er wird von einer fremden Frau verfolgt, und auch die Berliner Unterwelt scheint sich auf einmal für den Schriftsteller und seine Familie zu interessieren …

Quelle: Gmeiner

Eigentlich hatte ich vor, das Buch im Rahmen der historischen Challenge zu lesen, aber da ich die entsprechende Zeit bereits durch ein anderes Buch abgedeckt hatte, musste es nun einfach so just for fun dran glauben. 😀 Mit Betonung auf FUN.
Ich hab richtig viel Spaß an diesem Buch gehabt!

Da man über den Aufenthalt der Familie Twain in Berlin nicht allzu viel weiß, blieb dem Autor umso mehr Spielraum für seine Geschichte.

Erzählt ist das Geschehen aus der Sicht von Mark Twains Sekretär Harris (da dieser nicht in der Liste der historischen Personen aufgeführt ist, kann man wohl von einem erdichteten Sekretär ausgehen).
Die bekannten Fakten über die Twains in Berlin sind aufgelockert mit fiktiven Episoden,  in denen zahlreiche historische Persönlichkeiten (hier seien auszugsweise Oscar Wilde, Kaiser Wilhelm oder Theodor Mommsen genannt) und Anekdoten auftauchen.

Der Zeitgeist des Jahres 1891 ist ganz wunderbar getroffen und die Berliner Örtlichkeiten sehr bildlich beschrieben. Man sieht förmlich die dunkel gekleideten, distinguierten Herren im Billardzimmer vor sich, man spürt den aufkeimenden Antisemitismus und kann den infernalischen Krach am Potsdamer Platz erahnen.
Am meisten lebt das Buch vom Wortwitz des Autoren, der wirklich sehr gut zum Humor Mark Twains passt und beim Lesen für ein Dauergrinsen sorgt.
Von mir aus hätte das Buch auch gerne doppelt so lang sein dürfen ;-).

Den Namen Herbert Beckmann werde ich mir auf jeden Fall gut merken und ich freue mich schon sehr auf weitere Bücher des Autoren!

Der erste Satz:

„Packen Sie ihre Siebensachen, Harris.“

Bewertung:
Fünf Sterne.

 

Autor: Herbert Beckmann
Titel: Mark Twain unter den Linden
Broschiert: 276 Seiten
Verlag: Gmeiner
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3839210512

Der 300. Kommentar – and the winner is….

Schon vor einiger Zeit habe ich beschlossen, dass der 300. Kommentar -wie auch schon der 100.– eine kleine Überraschung erhalten soll.

Und wie auch beim letzten Mal habe ich nicht Bescheid gegeben, dass es noch soundsoviele Kommentare sind, die fehlen oder es groß hier auf dem Blog angekündigt, weil es echte Kommentare sein sollten. Ich bin nicht so der Fan von groß angekündigten Gewinnspielen, seht es mir nach ;-).

Seit Ende Juli 2010 gibt es meinen Blog und in dieser doch recht kurzen Zeit habe ich von euch so viele nette Kommentare bekommen, dafür einfach mal ein riesiges Dankeschön!

Ebenso ein Dankeschön an all die tollen Literaturblogs und ihre Blogger da draußen, die meine Bücherwunschliste quasi täglich erweitern und die zu meiner täglichen Lektüre gehören. Ich finde es unheimlich spannend, wie jeder einzelne ein Buch betrachtet und darüber schreibt, viele haben einen ganz eigenen Stil oder sind, wie ich auch, noch in der Entwicklung und auf der Suche danach, auch das ist spannend.

Ich habe wieder vorsichtig mit dem Zaunpfahl auf Twitter und Facebook gewunken, abgewartet – and the winner is….

Charlene für diesen Kommentar:

 

Wenn du eine Überraschung haben möchtest, dann mail mir doch bitte deine Adresse :-).

 

 

[Hörbuch] Anne Fine / Tagebuch einer Killerkatze

„Okay, okay. Hängt mich ruhig auf. Ja, ich hab den Vogel getötet. Du lieber Himmel, ich bin nun mal ein Kater! Es ist sozusagen mein Job, durch den Garten zu schleichen und süßen, schnuckligen kleinen Piepmätzen aufzulauern, die kaum von einer Hecke zur andern fliegen können. Na was soll ich machen, wenn so ein armes gefiedertes Flatterbällchen sich mir praktisch ins Maul wirft?“

Ein Killerkater namens Kuschel (laut Klappentext sollte er Tuffy heißen, ich bin einigermaßen verwirrt; aber laut Klappentext sollte ja auch der erste Satz anders lauten… 😉 ) führt eine Woche lang Tagebuch und gibt uns Einblick in das manchmal sehr beschwerliche Katzenleben. Aufdringliche Vögel, tote Hasen in der Katzenklappe, Kindertränen im Fell – nee, gar nicht einfach. Kuschels Familie ist natürlich mäßig begeistert von den killerkätzischen Aktivitäten und muss speziell in Sachen „Hoppel“ schnell die Spuren verwischen….

Ich gebs ganz offen zu: als Personal einer Killerkatze sympathisiere ich mit der Familie. 😀
In Zukunft werde ich Kuschels Ausreden im Ohr haben, wenn meine Killermieze wieder ihren Beitrag zur Ausrottung der hiesigen Spitzmauspopulation leistet…

Gesprochen wird Killerkater Kuschel von Martin Semmelrogge, der wirklich die perfekte Besetzung für die Rolle ist.
Zwischen den einzelnen Tagebuchepisoden darf man der jazzigen Titelmusik aus „Pink Panther“ lauschen und die passt zu diesem Kater wirklich wie die Faust aufs Auge ;-).
Einziger Wermutstropfen: Das Hörbuch ist mit 30 Minuten viiiiiiiiiiiel zu kurz!

Bewertung:
Fünf Sterne und die Hoffnung auf eine Fortsetzung ;-).

 

 

Autorin: Ann Fine
Sprecher: Martin Semmelrogge
Titel: Tagebuch einer Killerkatze
Verlag: HÖR Verlag
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3895848698

Tom Rachman / Die Unperfekten

Eine internationale Tageszeitung mit Sitz in Rom sieht nach 50 Jahren ihrem Ende entgegen. Der Erbe des Blattes bringt seinem Hund mehr Aufmerksamkeit entgegen als dem Unternehmen und bei den Mitarbeitern geht es infolgedessen drunter und drüber…

Was, wenn ein Zeitungserbe seinem Basset mehr Interesse entgegenbringt als dem Schicksal seines Blattes? Was wird aus der unglückseligen Ruby (alleinstehend, immer auf der Suche nach dem Mann fürs Leben)? Aus Ed, der gefeuert wird und sich an der zuständigen Sachbearbeiterin (alleinerziehend, drei Kinder und keine Zeit für die Liebe) rächt? Aus der Chefredakteurin Kathleen (verheiratet mit einem Weichei und verliebt in einen anderen)? Und aus Lloyd, der, einsam wie ein Straßenhund, aus Not eine Story erfindet und auffliegt?

Quelle: DTV

Allerorts wird „Die Unperfekten“ in den höchsten Tönen gelobt. Das Buch sei ein Spiegel unserer Zeit, ein gesellschaftskritischer Gegenwartsroman, der den Niedergang der Printmedien widerspiegelt, leichtfüßig geschrieben und mitreißend.

So ganz kann ich mich diesen Lobgesängen nicht anschließen.
Das Buch liest sich leicht weg und die Stories sind auch recht amüsant. Besonders wenn man Redaktionserfahrung hat, kommt einem das eine oder andere bekannt vor.
Auch gelingt es Rachman, in den einzelnen Stories durchaus interessante Charaktere zu skizzieren und ihre höchst individuellen Reaktionen auf das sie betreffende Geschehen.
Allerdings ist da auch eine unübersehbare Oberflächlichkeit und Distanz, alles ist irgendwie unpersönlich und nüchtern.

Die Sprache ist knapp gehalten, die Sätze kurz, kein Raum für Ausschmückungen oder über das Notwendige hinausgehende Details.
Wer die minimalistische Schreibe mag (in Amerika scheint das aktuell der Literaturtrend schlechthin zu sein), der wird sicherlich angetan sein.
Mir persönlich war das dann doch etwas zu viel Abstand zu den Figuren.
Für Kurzgeschichten finde ich diesen Stil in Ordnung; im Grunde entsprechen die einzelnen Portraits auch mehr Kurzgeschichten denn einem Roman. Das Buch ist aber nun einmal als Roman konzipiert und das funktioniert in meinen Augen nicht optimal.

Damit entspricht das Buch irgendwie seinem Titel: es ist unperfekt, unrund, hat aber auch genau dadurch einen gewissen Reiz. Es ist zumindest mal etwas ganz anderes als ein klassischer Roman.

Der erste Satz:

Lloyd schiebt das Bettzeug beiseite und rennt in weißer Unterwäsche und schwarzen Socken zur Wohnungstür.

Bewertung:
Drei Sterne.

 

Autor: Tom Rachman
Titel: Die Unperfekten
Originaltitel: The imperfectionists
Taschenbuch: 400 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3423248211

Blogdesign & Co.

Wie manch einem vielleicht schon aufgefallen ist, habe ich in der letzten Woche zweimal das Blogdesign geändert. Vermutlich wird es auch nicht so bleiben, wie es jetzt ist, ich bin mit dem Theme immer noch sehr unzufrieden.
Verwöhnt von meinen selbstgehosteten Blogs, bei denen man hemmungslos im Theme herumprogrammieren und alles so anpassen kann, wie man es möchte, werde ich bislang mit der doch sehr begrenzten Theme-Auswahl bei WordPress.com nicht so richtig warm, da ich doch ziemlich genaue Vorstellungen von dem habe, was ich gerne hätte: ein weißes Theme mit veränderbarem Header, hierarchischer Kategorienanzeige, einer Seitenanzeige über dem Header MIT Slide-Funktion und zu schmal darf der Aufbau auch nicht sein, damit er fotogeeignet ist, ebenso wenig möchte ich eine von diesen winzigkleinen Schriftarten. Das alles in einem bei WordPress.com verfügbaren (kostenlosen) Theme zu finden stellt sich jedoch als schwieriger heraus als gedacht. Habt also bitte noch ein bisschen Geduld mit mir ;-).

Stephen King / Zwischen Nacht und Dunkel

Ein Farmer, der von dem, was er getan hat, in den Irrsinn getrieben wird.
Eine Schriftstellerin, die unbedacht eine Abkürzung wählt.
Ein Todkranker, der um eine Verlängerung bittet.
Eine Ehefrau, die glaubte, ihren Mann zu kennen.

Vier Novellen, eine Aussage:
Es kommt sowieso anders, als du es erwartest und es wird schrecklicher, als du es dir je erträumen könntest.

Stephen King zählt definitiv zu meinen Lieblingsschriftstellern.
Keiner versteht es so wie er, in den Abgründen menschlicher Ängste zu wühlen.
Noch mehr als seine Romane liebe ich seine Kurzgeschichten und „Zwischen Nacht und Dunkel“ hat mich genau darin wieder bestärkt.

Selbst in seinen besten Romanen entsteht nicht solch eine grauslige, packende Stimmung wie in den Novellen und Kurzgeschichten.
Dabei verzichtet King größtenteils dankenswerter Weise auf allzu detaillierte Beschreibungen; die sind auch überhaupt nicht notwendig, das Kopfkino läuft ohnehin auf Hochtouren.
Was in den Romanen auf mehrere hundert Seiten verteilt wird, ist in den Geschichten komprimiert und wirkt umso heftiger auf den Leser.

Das Buch besteht aus vier Novellen: „1922“, „Big Driver“, „Faire Verlängerung“ und „Eine gute Ehe“.
Kein langes Vorgeplänkel, einfach rein in die Geschichte; nicht zu viele Details, nicht zu viele Figuren, dafür umso mehr Atmosphäre und in jeder Geschichte eine Moral: Jeder muss für das, was er tut, einen Preis zahlen.

Ich könnte nicht sagen, welche der vier Geschichten in meinen Augen die stärkste ist, jede für sich hat ihre Vorzüge.
Müsste ich jedoch die schwächste benennen, wäre es für mich eindeutig „Big Driver“, da ich einiges in der Geschichte nicht so schlüssig fand wie in den anderen dreien.
Während ansonsten jeder Gedankengang und jede Handlung für mich gut nachvollziehbar war und das Ergebnis entsprechend passend, gefiel mir bei „Big Driver“ vor allem im letzten Drittel einiges nicht so gut. Mehr will ich dazu an dieser Stelle nicht sagen, es soll schließlich jeder ganz für sich allein die Geschichten auf sich wirken lassen und ich möchte hier nicht spoilern und damit den Lesegenuss verderben ;-).

Kleiner Kritikpunkt:
Für meinen Geschmack hätte der Infotext im Schutzumschlag etwas reduzierter sein können bzw. so formuliert, dass er nicht so viel von der Handlung der einzelnen Geschichten verrät. Das schafft automatisch schon vor dem Lesen eine gewisse Erwartungshaltung und Voreingenommenheit, die den Geschichten durchaus auch schaden kann.

Leseempfehlung? Definitiv!

 

Kleiner Tipp: Wer sich bei „Big Driver“ etwas wundert, weil bei der Sache mit der Abkürzung irgendetwas klingelt, der werfe noch einmal einen Blick auf „Mrs. Todds Abkürzung“, veröffentlicht in den Kurzgeschichtensammlungen „Der Gesang der Toten“ und „Blut“.

 

Wertung:
Vier Sterne.

 

Autor: Stephen King
Titel: Zwischen Nacht und Dunkel
Originaltitel: Full Dark, No Stars
Gebundene Ausgabe: 528 Seiten
Verlag: Heyne Verlag
gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3453266995

[Hörbuch] Erlend Loe / Ich bring mich um die Ecke

Julie ist 18 Jahre jung, wohnt in einer reichen Gegend von Oslo – und ist allein. Mutter, Vater und Bruder sind bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. An Geld mangelt es Julie nicht, wohl aber am Lebenswillen und so beschließt sie am Silvesterabend, im nächsten Jahr zu sterben. Aber ein 08/15- Selbstmord kommt für Julie nicht in Frage, es muss schon etwas besonderes sein. So kreativ Julie auch ist, ihr erster Versuch ist schon einmal nicht von Erfolg gekrönt und um ihrer Familie nahe zu sein und gleichzeitig dem nervenden „Psycho-Geier“ und ihrer nicht minder nervigen Freundin zu entgehen, haut Julie ab und fliegt durch die Welt. Von einem Flughafen zum nächsten, möglichst immer in der Luft, völlig rastlos. Dabei schreibt sie ihre Gedanken auf ironische, skurrile Form in einem Tagebuch nieder, trifft alle mögliche Menschen, erlebt Drama – und Happy End.

Meinung:
So depressiv der Inhalt auch klingt, „Ich bring mich um die Ecke“ ist kein lähmendes Buch und für das Hörbuch gilt das schon mal gleich gar nicht.
Es ist ein Buch, das zwar ein trauriges Thema behandelt, aber durch den Wortwitz und die jugendlich-trotzige Art der Protagonistin verfällt man beim Hören nicht in Trauer und Entsetzen.
Anna Carlsson liest mit viel Gefühl, verleiht den Tagebucheinträgen genau das richtige Maß an Zorn, Trotz, Sarkasmus, aber auch den kleinen verbliebenen Funken Lebensfreude, und ich kann mir keine bessere Sprecherin für Julie denken.

Zwei kleine Kritikpunkte bleiben, für die wahrscheinlich die Übersetzung verantwortlich ist:
1. Eisstockschießen ist nicht mit Curling zu verwechseln und im Gegensatz zum Curling ist Eisstockschießen auch nicht olympische Disziplin. Das wird im Buch leider verkehrt geschildert. Ist zwar eine Nebensächlichkeit und für die Handlung des Buches vollkommen irrelevant, aber für mich als Curling-Fan so nicht akzeptabel ;-).

2. Die Olympischen Spiele mit Olympia abzukürzen- ok. Sie als „Olympiade“ zu bezeichnen, geht hingegen nicht. Der Begriff „Olympiade“ bezeichnet den Zeitraum zwischen den Olympischen Spielen, also vier Jahre. Die Olympischen Spiele sind Bestandteil dieses Zeitraums, sie stellen aber nicht die Olympiade dar.

Bewertung:
Vier Sterne.

 

Audio CD
Autor: Erlend Loe.
Titel: Ich bring mich um die Ecke.
Originaltitel: Muleum.
Verlag: Bastei Lübbe GmbH & Co.KG (Lübbe Audio)
gehört auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3785737484

Robert Brack / Blutsonntag

©Edition Nautilus Mein Name ist Klara Schindler. Ich werde einen Menschen töten. Vorsätzlich, aber nicht aus niedrigen Beweggründen, es ist meine Pflicht … Geht das so? … Wenn ich jetzt zurückspule, kann ich mich dann hören?

– Mein Name ist Klara Schindler. Ich werde einen Menschen töten …

Tatsächlich … aber es klingt eigenartig. Ist das wirklich meine Stimme?

Die Kommunistin Klara Schindler, selbstbewusste Reporterin der Hamburger Volkszeitung, hat mit einer neuen technischen Errungenschaft der Sowjetunion, einem Magnetophon, Zeugen über die Geschehnisse des sogenannten Altonaer Blutsonntags am 17. Juli 1932 befragt. Sie will die Aussagen möglichst genau dokumentieren, um damit die Lügen der Hamburger Polizei, der preußischen Behörden und der Presse über die Straßenkämpfe zwischen SA und Kommunisten aufzudecken.

Sie findet heraus, dass die Opfer allesamt von einem Kommando der Hamburger Polizei unter dem Befehl von Oberleutnant Kosa erschossen wurden.

Da niemand etwas gegen die deutlich sichtbaren Putsch-Aktivitäten der Nazis tut und die Mörder vom Staat geschützt werden, entschließt Klara sich zur Selbstjustiz …

Quelle: Edition Nautilus

Meinung:
Am 17. Juli 1932 kam es während eines Aufmarsches der SA durch das überwiegend kommunistische Altona zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, in deren Folge 18 Menschen getötet wurden. Dieser Tag sollte als „Altonaer Blutsonntag“ in die deutsche Geschichte eingehen.

18 Tote, das mag aus heutiger Sicht nicht so dramatisch klingen, erzählen uns doch die Nachrichten täglich von schlimmen blutigen Auseinandersetzungen in dieser oder jener Ecke der Welt, von soundsoviel Toten hier, soundsoviel Opfern da. Aber unter dem Aspekt der Außerkraftsetzung der demokratischen Verfassung Preußens als direkte Folge des Altonaer Blutsonntags und der Machtergreifung der Nationalsozialisten im darauf folgenden Jahr bekommt dieses Ereignis eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.

Bis heute sind sich die Historiker uneins über den genauen Ablauf des Blutsonntags, wer wann zuerst auf wen geschossen, wer nun genau wen getötet hat. Man kennt die Ergebnisse – die Opfer, die Angeklagten, die Hingerichteten, die politischen Konsequenzen- und ansonsten gibt es eine ganze Menge „wahrscheinlich“, „vielleicht“, „möglicherweise“ und „vermutlich“.
Sich mit diesem Thema belletristisch zu befassen kommt einer Gratwanderung gleich, will man dem Anlass gerecht werden.

Es ist schon eine Weile her, dass mir die Auseinandersetzung mit einem Buch so an die Nieren gegangen ist.
Ich habe mich während meines Studiums recht intensiv mit der der SA-Gewalt befasst und wusste also in etwa, was inhaltlich mit diesem Buch auf mich zukommen würde.

Ich war allerdings nicht auf die Sprache Robert Bracks gefasst, die es mir praktisch unmöglich gemacht hat, Distanz zu wahren.

Klara Schindler und ihre Zerrissenheit, die kleinen Hinterhöfe und Mietskasernen, die schmutzigen Kneipen, die Aggressivität, Armut, Trostlosigkeit, die aufgeheizte politische Stimmung, das geschehene Unrecht werden lebendiger, als man es erwarten sollte und so manches Mal habe ich mich sehr unwohl gefühlt, wollte das Buch am liebsten weglegen, noch lieber vor der Geschichte davon laufen, mir am liebsten einreden: „Es ist doch nur eine Geschichte!“.
Ja, es ist eine Geschichte, aber der Blutsonntag hat unleugbar stattgefunden. Es ist eine Geschichte über unsere Geschichte und wenn man sich auch noch in Hamburg und Umgebung auskennt oder einfach schon mal dort war, dann wird diese Geschichte noch greifbarer.

Robert Brack hat es geschafft, die politischen Spannungen des Jahres 1932 auf dem Papier lebendig werden zu lassen und zeichnet sich dabei durch eine äußerst genaue Recherche aus. Er bediente sich für die geschilderten Details bei zeitgenössischen Zeitungsartikeln, Polizeiberichten, Spitzelprotokollen und dokumentierten Zeugenaussagen und das merkt man dem Buch deutlich an, das macht es so besonders bildhaft.

Natürlich ist der Fokus hauptsächlich auf die Protagonistin und ihr kommunistisches Umfeld gerichtet.
Klara geht auf die Straße, ausgerüstet mit einem russischen Tonbandgerät, befragt die Menschen und will so herausfinden, was wirklich geschehen ist.
Die Berichte der Menschen, so erfährt man es im Nachwort, basieren auf authentischen Zeugenaussagen, die nur wenig bis gar nicht verändert wurden.

Möglicherweise fällt es dem Leser, der ohne jegliche Vorkenntnisse zu diesem Buch greift, an manchen Stellen schwer, dem Geschehen zu folgen. Das sollte jedoch kein Grund sein, nicht zu diesem Buch zu greifen.
Man sollte sich jedoch im Vorfeld darauf einstellen, dass es kein Buch ist, das sich einfach runter liest, es ist kein Wohlfühlbuch, sondern macht nachdenklich und wühlt auf.

Eine Leseprobe und nähere Informationen zu Buch und Autor findet man auf den Verlagsseiten der Edition Nautilus.

Bewertung:
Was mich so berührt, so exakt recherchiert und dann auch noch mit so viel Gefühl formuliert ist, bekommt die Höchstnote.

 

Titel: Blutsonntag
Autor: Robert Brack
Broschiert: 256 Seiten
Verlag: Edition Nautilus
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3894017286

Remco Campert / Tagebuch einer Katze

Inhalt:
Pöff heißt die Katzendame, die bei „Brille“ und „Rock“ lebt und die eigentlich lieber einen anständigen Katzennamen hätte und nicht ein „Armutszeugnis der Namensgebung“. Mit ihren Menschen hat Pöff es nicht einfach, manchmal stecken die sie einfach in die „Trawo“, die tragbare Wohnung, und fahren mit ihr weg und viel zu oft verwenden die schwanzlosen Zweibeiner das staubsaugende drohende Ding und stören Pöff damit in ihrer Ruhe. Dazu kommen Albträume von kichernden Mäusen und der Rote Harry, der Horror der Höfe. Aber eine Katze wie Pöff weiß natürlich, wie man mit all dem umzugehen hat.

Meinung:
Als Bediensteter in einem Katzenhaushalt hat man ja meistens haufenweise kätzischer Lektüre im Regal.
Was habe ich Tränen gelacht über „Schmitz Katze“ und wie saß ich nickend wie ein Wackeldackel da bei der Lektüre von „Miau sagt mehr als tausend Worte“.
Aber von allen meinen Katzenbüchern ist mir dieses das Liebste! ♥

Das einzige, was ich daran zu kritisieren habe, ist seine Kürze!
Viel zu schnell hat man das Büchlein durchgelesen und möchte eigentlich noch viel viel mehr von und über Pöff und ihre Zweibeiner erfahren.

Man merkt, dass Remco Campert viel Erfahrung mit Katzen hat und diese wunderbaren Geschöpfe liebt und respektiert.
Mit viel Sprachgefühl, Humor und Beobachtungsgabe berichtet er aus dem Katzenalltag. In 30 kleinen Kapiteln lässt Campert seine Pöff von den kleinen und großen Dingen im Katzenleben erzählen und hat so ein Buch geschaffen, dass jedem Katzenfreund ans Herz gehen dürfte.

Die ersten Sätze:

Madonna, Thelonious, Napoleon, Justine, Kleopatra, Vincent, T.S. Eliot, Lolita, Sokrates, Zelda, Beethoven, Fellini, Venus, Malaparte, Kousbroek, Isebel, Adinda…
Da haben Sie ein paar Namen von Katzen aus den Gärten hinter dem Haus, in dem ich mit Brille und Rock wohne.
Einer wie der andere: Namen, die sich sehen lassen können, mit Sorgfalt und Liebe von den Zweibeinern ausgewählt, die zu diesen Katzen gehören.

Nennen wir ihn: Multaluli.
Nennen wir sie: Madame de Pompadour.
Zweibeiner mit Geschmack.
Ich heiße Pöff. Jawohl, Sie lesen richtig. Pöff.
Ein Name wie eine Sprachstörung.

Bewertung:
So wunderschön, dass nichts anderes als fünf Sterne in Betracht kommt.

 

Autor: Remco Campert
Titel: Tagebuch einer Katze
Originaltitel: Dagboek van een poes
Gebundene Ausgabe: 75 Seiten
Verlag: Arche Verlag
Gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3716023778