Portia de Rossi / Das schwere Los der Leichtigkeit. Vom Kampf mit dem eigenen Körper.

„Die Krankheit ermöglicht es einem, sich aus dem Leben auszuklinken. Wieder gesund zu werden bedeutet, dass man sich wieder einklinken muss. Und die Bereitschaft dazu ist von zentraler Bedeutung, denn plötzlich hat man das Gefühl, dass nichts mehr so ist, wie es vor der Erkrankung war. Ehe man noch einmal von vorne beginnen will, müssen sich entscheidende Faktoren ändern; was immer einen verunsichert hat, was immer einen gezwungen hat, ein Leben zu leben, das einem nicht entspricht, muss verändert, muss beseitigt werden. […] Um sich wieder ins Leben einzuklinken, muss man sein Leben vollständig neu erfinden.“

Portia de Rossi ist Schauspielerin, bekannt geworden ist sie vor allem durch ihre Rolle als biestige Anwältin in der Serie „Ally McBeal“. Der Serie, die unter anderem deswegen so viel mediale Aufmerksamkeit bekam, weil die Hauptdarstellerin Calista Flockhart extrem dünn war. Doch während alle Augen auf sie und ihr Gewicht gerichtet waren, war es de Rossi, die beinahe ihr Leben an die Magersucht verloren hätte …

Mit ihrer Autobiographie lässt sie dem Leser gegenüber viele Mauern fallen und spricht offen und ehrlich nicht nur über ihre Magersucht, sondern auch über ihren jahrelangen Kampf gegen die eigene Sexualität, den eigenen Körper, den eigenen Charakter und um Perfektion, Anerkennung und Beachtung.
Sensibel geht sie mit dem Thema um, schildert ihr damaliges Erleben und Fühlen, ganz ohne moralische Keule oder die mit Löffeln gefressene Weisheit, dafür mit präzisen, klaren Worten. Ich empfand auch weniger die Essstörung als Hauptthema des Buches, obwohl der Titel das natürlich impliziert, sondern vielmehr diesen permanenten inneren Zwiespalt: Lesbisch sein, aber Angst davor haben, es zu leben oder entdeckt zu werden; Schauspielerin sein, die eigene Persönlichkeit aber ununterbrochen verstecken; nach Anerkennung und Akzeptanz suchen, und doch am liebsten unsichtbar sein wollen.

Gut, ich hatte Untergewicht, aber es war mir nie in den Sinn gekommen, dass ich Magersucht haben könnte. Das Mädchen im Fitnessstudio war nicht magersüchtig. Durchschnittliche Leute hatten keine Magersucht. An dieser Krankheit litten die Perfekten, Gebildeten, Schönen. Diese Krankheit gehörte zu Models, Sängerinnen und Prinzessin Diana.
Insgeheim habe ich Magersüchtige wegen ihrer übermenschlichen Selbstdisziplin immer sehr bewundert. Der Krankheit haftet in meinen Augen eine Aura des Reinen und Perfekten an. Abgesehen davon, dass ich niemals dünn genug sein würde, um magersüchtig zu sein, wünschte ich es mir auch nicht. Ich wollte mich bloß beim Diäthalten hervortun.

Die Diskrepanz, in der de Rossi jahrelang existierte, zeigt sich deutlich und unerbittlich auf jeder Seite des Buches, was man jedoch trotz allem nicht vorfindet, ist Selbstmitleid und Jammer. Diesen Spagat hinzubekommen ist schon eine Meisterleistung.
Indem sie ihre früheren Gedanken und Gefühle schildert, ganz ohne Erklärungen oder therapeutische Ergänzungen, knüpft sich Seite um Seite ein Gesamtbild, das verstehen, begreifen lässt, wie so eine Krankheit entsteht und was in den Betroffenen vorgeht.

Es wirkte so, als habe meine Mutter Angst, etwas sehr Kostbares zu verlieren, und dieses Kostbare war ich.
>Bis zu diesem Moment war ich immer so stark und unabhängig gewesen, dass sich ihre Sorge um mich auf meine Leistungen und Ziele beschränkt hatte wie einen Modeljob oder einen Werbevertrag. Jetzt fühlte ich mich so glücklich, dass ich mich fragte, ob ich vielleicht absichtlich so viel abgenommen hatte, nur um diese Reaktion zu erleben. Ganz plötzlich fühlte ich mich der Sorge wert. ICH war diejenige, um die man sich Sorgen machen musste. Die Sorge für ein schwaches, krankes Kind erforderte eine andere Art von Liebe. Und in diesem Moment dort in der Einfahrt unseres Hauses stellte ich fest, dass ich diese Art von Liebe vorzog.

Literarisch ist das Buch zwar wenig anspruchsvoll und enthält leider auch einige Fehler, doch der Inhalt macht beides wett, denn er geht zu Herzen, ist ehrlich, authentisch und ermutigend.

Vier Sterne.

Titel: Das schwere Los der Leichtigkeit. Vom Kampf mit dem eigenen Körper.
Originaltitel: Unbearable Lightness. A Story of Loss and Gain
Autorin: Portia de Rossi
Verlag: mvg Verlag
gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3868822380

3 Gedanken zu „Portia de Rossi / Das schwere Los der Leichtigkeit. Vom Kampf mit dem eigenen Körper.

  1. flattersatz

    Ich habe neulich von Sontag „Die Krankheit als Metapher gelesen“. Wenn ich hier Sätze finde wie: „… Der Krankheit haftet in meinen Augen eine Aura des Reinen und Perfekten an. …“ oder noch mehr: “ .. An dieser Krankheit litten die Perfekten, Gebildeten, Schönen. Diese Krankheit gehörte zu Models, Sängerinnen und Prinzessin Diana. ..“, erinnert mich das stark daran…

    Antwort
      1. flattersatz

        ja, natürlich, des ist klar, daß das kein ausnahmesatz ist. aber er illustriert eben deutlich, was sontag sagt (und das ist mir halt ins auge gefallen), daß krankheiten oft ein bild transportieren, eine metapher sind für ein phänomen…

        Antwort

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