Ein Berliner Paar, er Schweizer, sie gebürtige Mecklenburgerin, bricht in den Schweizer Bergen zu einer mehrtägigen Hüttentour auf. Die Stimmung ist eisig, nicht nur wegen der Kälte am Berg. Vielmehr wird die Wanderung Richtung Gipfel mehr und mehr Sinnbild für die Beziehung der beiden und je höher sie steigen, umso mehr entfernen sie sich voneinander …
„Niedergang“ ist ein recht kurzes Buch – das mir sehr an die Nieren gegangen ist.
Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, Roman Graf habe meine langjährige Beziehung genommen, ausgewrungen und das Essentielle zwischen diese Buchdeckel gepresst, es war stellenweise beängstigend.
André und Louise bilden von Anfang an kein harmonisches Paar.
Sie, die immerzu meckert und viel lieber an der Mecklenburger Seenplatte Eis essen und schwimmen würde, und er, der hoch hinaus will, der Schmerz spüren will, der Erfolge will, der seine Freundin davon überzeugen will, dass sie gerade das größte Abenteuer ihres Lebens erlebt; der zwar in Berlin lebt, aber in seiner Heimat auf der Wanderung plötzlich seine eigenen Ressentiments gegenüber den Deutschen und ihren Eigenarten realisiert.
Eine Wanderung, bei der es nicht steil aufwärts ging, war für ihn keine Wanderung. Er brauchte die Steigung und das Gewicht des Rucksacks, um zu spüren, dass mit seinem Körper etwas geschah, das ihm guttat; Spaziergänge hingegen auf ebenem Gelände, etwa um einen See herum, waren so leicht, dass er glaubte zu schweben und kaum etwas fühlte. Nein, mit einer richtigen Wanderung war das nicht vergleichbar […]
Die Wanderung steht von Anfang an unter keinem guten Stern, die Anspannung und unterdrückte Aggression zwischen den beiden ist durch die Zeilen hindurch fast greifbar.
Sie liebten sich schnell und gierig, weder liegend, da zu unbequem, noch stehend – auf allen vieren auf geradezu animalische Art. André mochte ihren mageren Körper sehr; nichts Überflüssiges gab es an ihm, er war wunderbar funktional.
Der Leser wandert mit dem Paar den Berg hinauf und spürt die eisige Stimmung, und so verwundert es nicht, dass es schließlich zur Eskalation zwischen den beiden kommt.
Dies geschieht jedoch nicht auf brachiale, laute Art, denn so ist das ganze Buch nicht. Es geschieht leise, fast beiläufig, fast nicht der Rede wert, doch wird es das Leben beider verändern.
Roman Grafs Sprache ist auf das Notwendige reduziert, kein Wort, kein Satz ist deplatziert oder überflüssig. Gerade diese nüchterne Erzählweise ließ mir die Geschichte umso mehr ans Herz gehen und ich war nach der Lektüre erst einmal eine Weile sprachlos und musste mich sammeln.
„Niedergang“ ist kein Wohlfühlbuch. Es ist ein Psychogramm.
Es weckt unangenehme Gefühle, es hat mir Magenschmerzen bereitet.
Aber es hat mir auch dabei geholfen, einige Dinge zu verstehen und mit einigem aus meiner Vergangenheit meinen Frieden zu machen.
Für ein Buch, das solche Emotionen weckt und sprachlich so einwandfrei ist, kann es nur volle fünf Sterne geben.
Autor: Roman Graf
Titel: Niedergang
Gebundene Ausgabe: 208 Seiten
Verlag: Albrecht Knaus Verlag (26. August 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3813505665
Das Buch steht noch ungelesen in meinem Regal, deine Besprechung löst aber den Wunsch aus, unbedingt sofort hinrennen zu wollen, die Folie abzureißen und loszulesen. Danke! 😀
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Kommt dank deiner gefühlvollen Beschreibung auf die Leseliste. Vielen dank dafür 🙂
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Ich finde es sehr gut, wie du die Gefühlkulisse diese Buches so deutlich wiedergeben kannst, sodass ich das schon fast spüren kann. Ich weiß jedoch nicht, ob ich mir das Buch antun soll :-s
Danke aber für deine gute Beschreibung 🙂
Lg Anne
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Da bekommt man fast etwas Angst das Buch zu lesen. die Besprechung macht aber auch neugierig. Ich werde es mir demnächst bestellen.