Archiv für den Monat November 2016

In Memoriam

In Memoriam: Unser Kätzchen Sandra Schmitt

Ein Jahr war es gestern her, dass du uns verlassen hast. Ein schier unendliches Jahr mit vielen guten, aber noch mehr schlimmen Dingen. Und immer, wenn etwas war, wollte ich dir schreiben. Anrufen ging ja schon lange nicht mehr, weil die Worte bei dir nicht mehr so raus kamen wie sie sollten. Schreiben ging, zumindest lange noch, und du warst die, der ich zuerst geschrieben hab, wenn etwas Spannendes passiert ist oder ich etwas Witziges erlebt habe. Oder wenn ich einfach süße Katzenfotos hatte. Du warst unser Kätzchen. Ich weiß gar nicht, wann das anfing, wohl vor meiner Zeit, aber du warst eben unser Kätzchen.

Du warst meine Sonne in den schlimmsten Stunden. Du hast mich durch die unendliche Nacht des 11. September 2011 begleitet, du warst immer da, wenn alles um mich rum schwarz wurde,

Ich vermisse dich so fürchterlich, dass ich gestern, an deinem eigentlichen Todestag, nicht schreiben konnte. Ich war bei meiner Familie, wir haben über dich geredet und über das Ding in meinem Kopf, das zwar anders ist als deines, uns aber doch irgendwie nun auf makabre Art noch mehr verbindet.

Als wir uns das letzte Mal sahen, an deinem vorletzten Geburtstag war das, glaube ich, da sprachen wir auch darüber, wie wir uns den Himmel vorstellen. In unserem Himmel bretterst du den Tag über mit deinem geilen Traummotorrad durch die großartigsten Gegenden, chillst abends am Strand oder gehst auf richtig gute Metal-Konzerte (einige der Großen sind dir ja schon gefolgt und ich hoffe, sie geben dir Sonder-Sessions). Du lachst und hast ein Bier in der Hand und du machst, dass alle um dich rum sich wohlfühlen.

Genau so denke ich an dich. Und trotzdem: Du fehlst. Mit dir war die Welt ein Stück wärmer und heller. Und selbst, als du kaum noch gehen und sprechen konntest, hast du die pure Lebenslust ausgestrahlt, warst abenteuerlustig und hast einfach alles ausgekostet, was es gab; und du hast andere aufgebaut. Du warst einzigartig. Es gäbe vieles, was ich dir noch zu sagen hätte, vieles, was ich bereue und was mir leid tut. Aber irgendwann sehen wir uns ja wieder … Ich hab dich lieb ❤

Nachtrag: Erst wollte ich diesen Post passwortgeschützt halten, aber Sandra ging mit ihrer Erkrankung und ihrem Leben offen um und ich glaube, sie hat nichts dagegen, wenn dieser Beitrag öffentlich ist.

Kate Eberlen/ Miss you

Tess und Gus kreuzen sich immer wieder über den Weg, ihre Leben verlaufen über Jahre hinweg nah beieinander – aber nicht so nah, dass sie sich wahrnehmen.

Kate Eberlen: Miss you ©buchjunkie.wordpress.com

Tess ist grüblerischer Natur und genießt ihren Sommerurlaub nach dem Schulabschluss, zusammen mit ihrer besten Freundin reist sie durch Italien, doch im Gegensatz zu Doll hat sie nicht ständig einen neuen Typen an der Angel, stattdessen plant sie ihr Leben an der Uni. Zurück in England zerschlagen sich jedoch all ihre Pläne, denn das Leben hat etwas anderes für sie vorgesehen …
Gus verbringt einen furchtbaren Urlaub in Italien, die Stimmung zwischen ihm und seinen Eltern ist frostig, nachdem sein Bruder bei einem Skiunfall ums Leben gekommen ist. Keiner spricht es aus, doch jeder gibt ihm die Schuld am Tod von Ross, auch er selbst. Glücklicherweise beginnt bald sein Medizinstudium und das Studentenwohnheim rettet ihn aus seinem einengenden Elternhaus. Eigentlich will er nicht Mediziner werden, doch der Druck seiner Familie lässt nicht zu, dass er seiner eigentlichen Bestimmung, der Kunst, nachgeht.

Hinweis: In der folgenden Buchbesprechung geht es auch um Inhalt, es könnten für diejenigen, die das Buch noch nicht gelesen haben, Spoiler enthalten sein. Wer sichergehen will, sollte einfach direkt zur Bewertung nach unten scrollen.

Erster Satz Tess:

Zuhause in der Küche hatten wir einen Teller, den Mum im Urlaub auf Teneriffa gekauft hatte.

Die beiden leben ihr Leben, jeder auf andere Weise. Tess fern der Akademikerschicht und in ein Leben gezwungen, das sie nicht wollte, mit einer Verantwortung, die ihr die Luft zum Atmen nimmt. Ross an der Uni, später im Krankenhaus, umgeben von Leuten, die er mag – jedoch nicht wirklich liebt. Immer wieder kreuzen sich die Wege der beiden, zuerst im Urlaub in Italien, später auf einem Konzert, im Krankenhaus, und letztlich in der Lebensmitte erneut in Italien. Naturlich ist es Italien, das die beiden letztlich zusammenführt und ein gutes, wenn auch offenes Ende beschert.

Erster Satz Gus:

Ich fing mit dem Laufen an, nachdem mein Bruder gestorben war, weil ich dabei allein sein konnte, ohne mir dafür einen Grund ausdenken zu müssen.

Kate Eberlen beschreibt, wie schnell sich ein Leben auf drastische Weise ändern kann. Im Leben von Tess spielen Asperger und Brustkrebs eine wesentliche Rolle, und der Autorin gelingt es, beides auf sanfte und eindrückliche Weise zu beschreiben, ohne dass es zu kitschig oder moralisch wird.

Ross lebt sein Leben in der Gewissheit, seinen Bruder in den Tod geschickt zu haben, und er versucht, diese Schuld auszugleichen, indem er alles tut, was von ihm erwartet wird. Er studiert Medizin, so wie sein Vater und sein verstorbener Bruder. Er hat eine Beziehung zu der steten, wenn auch langweiligen Lucy, die er betrügt, ausgerechnet mit Charlotte, der Verlobten seines Bruders. Die wiederum betrügt ihn und nimmt die gemeinsamen Kinder mit in die Schweiz, zu einem reichen Mann nach Genf, was ihm das Herz bricht.

… Der Druck, die Alleinverdienende zu sein … mich um alle zu kümmern … das ist dir anscheinend nie in den Sinn gekommen … du hast es einfach nicht kapiert!

Nie wird er den Erwartungen der anderen gerecht, so sehr er sich auch anstrengt, und das hat er mit Tess gemeinsam.

Wenn die Dinge gut laufen, sollte man das Schicksal vielleicht nicht herausfordern und versuchen, sie noch zu optimieren.

Die beiden verbindet die Liebe zu Kunst und Kultur, Stunden können sie in Museen, Galerien und Kirchen verbringen, doch niemand in ihrem Leben hat Verständnis dafür. Gus möchte am liebsten kochen und malen, während Tess von einem Leben als Schriftstellerin träumt.

Natürlich erwartet man, dass die beiden am Ende zusammen kommen, und sicherlich hinkt das Buch an manchen Stellen. Was mir gefallen hat, war jedoch die intensive Beschreibung der Dinge, die ein Leben außerplanmäßig verändern und auf einen Pfad führen, den man eigentlich nicht beschreiten will.

Mein Fazit: (und Spoiler-Ende)

Aber es ist seltsam, sich plötzlich keine Sorgen mehr machen zu müssen, wenn man sich sein ganzes Leben lang welche gemacht hat.

Was das angeht, konnte ich sehr gut mit den Protagonisten mitfühlen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob mir dieses Buch auch vor 10 Jahren gefallen hätte, und bin zu dem Schluss gekommen: nein. Es hätte mich gelangweilt und das Ende genervt. Vielleicht muss man selbst erst vom Pfad abgekommen sein, um Gefallen daran zu finden, es von anderen zu lesen. Sicherlich spielt auch eine Rolle, dass ich im selben Alter wie die Protagonisten bin. Mir hat gefallen, auf welch sensible Weise die Autorin die Themen Tod, Brustkrebs und Asperger beschrieben hat. Man fühlt mit, wird jedoch von der Thematik nicht erschlagen. Um ehrlich zu sein, anfangs dachte ich, die beiden kommen natürlich zusammen, später war ich jedoch nicht mehr sicher. Egal mit welchem Ende, es wäre so oder so ein schönes, stimmiges Buch gewesen.

Literarisch sicher nicht anspruchsvoll, dennoch mochte ich das Buch sehr und kann die Lektüre wärmstens empfehlen: Vier Sterne.

4sterne

Autorin: Kate Eberlen
Titel: Miss you
Originaltitel: Miss You
Broschiert: 576 Seiten
Verlag: Diana Verlag
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3453291836