Jeder von uns hat sich sicherlich schon einmal vorgestellt, jemand anderes zu sein, ein anderes Leben zu führen, an einem anderen Ort zu leben, einfach mal in die Rolle eines anderen Menschen zu schlüpfen.
Für A ist das alles Normalität, er kennt es nicht anders.
Jeden Morgen erwacht er in einem anderen Körper, an einem anderen Ort, in einem anderen Leben.
Er selbst bezeichnet sich als Gast, als Treibgut. Nie weiß er, wer er am nächsten Morgen sein wird oder wo, er kann es nicht steuern. Jeden Tag lebt er das Leben eines anderen Menschen und versucht dabei, so unauffällig wie möglich zu bleiben und kein Chaos in den Leben der anderen zu hinterlassen, sich nicht einzumischen.
„Es ist schwer, im Körper von jemandem zu sein, den man nicht mag, weil man ihn trotzdem achten muss. In der Vergangenheit habe ich manchmal Schaden im Leben von anderen angerichtet und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass es mich nicht loslässt, wenn ich Mist baue. Also versuche ich, vorsichtig zu sein.“
A selbst hat keinen Namen, keine Eltern, keine Freunde – bis er auf Rhiannon trifft.
„Ich bin Treibgut, und so einsam das mitunter sein kann, es ist auch enorm befreiend. Ich werde mich niemals über jemand anderen definieren. Ich werde nie den Druck von Gleichaltrigen oder die Last elterlicher Erwartung spüren. Ich kann alle Teile eines Ganzen betrachten und mich auf das Ganze konzentrieren, nicht auf die Teile. Ich habe gelernt zu beobachten, weit besser als die meisten anderen Menschen. Die Vergangenheit setzt mir keine Scheuklappen auf, die Zukunft motiviert mich nicht. Ich konzentriere mich auf die Gegenwart, denn nur in ihr ist es mir bestimmt, zu leben.“
Der Wunsch, sein Leben mit ihr zu verbringen, wird so stark, dass er zum ersten Mal gegen seine Regeln verstößt. Doch wie soll eine Liebe funktionieren, wenn man nie weiß, wer man am nächsten Tag ist? Wie soll Rhiannon jemanden lieben, der jeden Tag anders aussieht, mal Mädchen, mal Junge ist? Genügt es, dass das Innere, das Wesen, immer dasselbe ist, die Hülle jedoch nicht?
„Gestern ist eine andere Welt. Ich will wieder dorthin zurück.“
Ich finde es unglaublich schwer, dieses Buch angemessen zu besprechen, zu sehr hat es mich beeindruckt. Davon abgesehen gibt es natürlich schon haufenweise tolle Besprechungen zu dem Buch, hier zum Beispiel, hier, hier oder auch hier.
David Levithan hat ein kluges, sensibles, wundervolles Buch über die Liebe und das Erwachsenwerden geschrieben.
Die Idee, dass jemand jeden Tag in einem anderen Körper steckt, klingt zunächst seltsam, doch Levithan hat es geschafft, dass nichts an diesem Buch unstimmig ist.
Zwar wird nicht jede Frage beantwortet – warum ist A so, warum sind die Körper, in die er schlüpft, alle so alt wie er, warum befinden sie sich immer im selben Bundesstaat der USA wie der Körper, in dem A am Tag zuvor war? –, die Beantwortung dieser Fragen ist aber gar nicht notwendig, denn sie sind im Grunde für den gesamten Plot vollkommen irrelevant. Es geht hier um etwas anderes. Um die Frage nämlich, ob Liebe unabhängig vom Geschlecht und vom Körper überdauern und funktionieren kann – und um die Frage, ob man aus Liebe wirklich alles tun darf, oder ob nicht vielmehr der Verzicht, das Loslassen, das größte Zeichen wahrer Liebe sind.
„So wird es immer für mich sein. Eingesperrt in einem Zimmer. Gefangen in mir selbst.“

„Anfangs war es schwer, einen Tag nach dem anderen durchzustehen, ohne ernsthafte Beziehungen zu knüpfen oder Veränderungen im Leben anderer zu hinterlassen.“
Wirkt A zu Beginn der Erzählung noch recht besonnen, kühl, als habe er sich eben mit seiner seltsamen Existenz abgefunden, bricht im Laufe der Handlung all seine Verzweiflung und Hilflosigkeit auf. Er fühlt sich ausgeliefert, gefangen, wie ein Spielball des Universums. Dabei treten durchaus auch unangenehme Charakterzüge zutage.
Mir hat sehr gefallen, mit welcher Genauigkeit Levithan A’s Gefühle und Gedanken beschreibt, ohne dabei kitschig zu werden. Insgesamt zeichnet sich der Schreibstil durch eine ideale Mitte aus: Nah genug dran, um in die Geschichte eintauchen, aber weit genug weg, um von außen einen Blick auf alles werfen zu können.
Auch das Ende, an dem sich ja, liest man mal einige Rezensionen, offensichtlich die Geister scheiden, hat mir in seiner offenen Art gut gefallen.
A ist ein Charakter mit Ecken und Kanten, der, obwohl er es zu wissen glaubt, seinen Platz im Leben noch nicht gefunden hat und auf der Suche ist.
Man weiß nicht genau, welches Geschlecht A eigentlich hat, ich habe nun „er“ geschrieben, weil sich das für mich am stimmigsten anfühlte, möchte diesen ungewissen Punkt jedoch nicht unerwähnt lassen.
Das Cover und die Aufmachung des Buches finde ich sehr gelungen und ansprechend, ich hatte das Buch richtig gerne in der Hand und bin doch sehr froh, mich für die Printausgabe und gegen das eBook entschieden zu haben. Ich freue mich schon sehr darauf, andere Bücher von David Levithan zu lesen.
Fünf Sterne.

Autor: David Levithan
Titel: Letztendlich sind wir dem Universum egal
Originaltitel: Every Day
Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
Verlag: FISCHER FJB
Gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3841422194