Archiv der Kategorie: Spannung

Andreas Neuenkirchen/ Yoyogi Park, Roppongi Ripper & Shinigami Games

Heute möchte ich Euch gleich drei Bücher auf einen Schlag vorstellen, nämlich die unglaublich spannenden Tokio-Krimis von Andreas Neuenkirchen.

Ich habe alle drei am Stück verschlungen, und da es sich um eine Reihe handelt, eignet sich ein gemeinsamer Beitrag sehr gut.
Vorweg kann man schon sagen: Japan-Fans kommen hier voll auf ihre Kosten. Ich habe die Reihe einer japanversessenen Freundin geliehen, die lange in Tokio lebte, und ihr Kommentar war nur: „Als wäre man wieder in Tokio, genau so sieht es da aus!“ Die Ortsbeschreibungen sind also nicht nur sehr detailliert und bildlich verfasst, sondern entsprechen tatsächlich den örtlichen Gegebenheiten.

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Andreas Neuenkirchen/ Yoyogi Park, Roppongi Ripper, Shinigami Games

In den Krimis von Andreas Neuenkirchen dreht sich alles um die junge Inspektorin Yuka Sato und ihren Assistenten Shun Nakashima, die in Tokio für Recht und Ordnung sorgen.

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Yoyogi Park

Yoyogi Park/ Andreas Neuenkirchen

Der erste große Fall verlangt der jungen Inspektorin Yuka Sato und ihrem Kollegen Shun Nakashima direkt alles ab: Nach dem traditionellen Kirschblütenfest wird eine Leiche im Yoyogi Park entdeckt. Für das junge Ermittlerteam ist dies der erste große Fall. Doch bald wird er größer und größer, denn es geschehen noch mehr Morde, und alles scheint miteinander im Zusammenhang zu stehen …

Näher möchte ich hier nicht auf die Handlung eingehen, denn nichts ist schlimmer, als in einer Rezension über einen Krimi gespoilert zu werden ;).

Yuka Sato und ihr Kollege Shun Nakashima sind ein gutes Team, das einen lockeren Umgang pflegt, der sehr im Gegensatz zu den traditionellen Verhaltensweisen zu stehen scheint, die ab und an vorkommen. Das Ganze bildet einen schönen Kontrast: Moderne neben Tradition, Hand in Hand. Etwas, was wir hierzulande doch nur selten sehen, wenn wir mal ehrlich sind.

Der 1. Satz:

„Ai lag im Gras, die Augen geschlossen, umweht von einer warmen Brise, die die ersten Kirschblüten des Frühlings sanft auf ihr Gesicht legte.“

Das Buch beginnt mit einer „Dramatis Personae“, also einer Auflistung der wichtigen Personen. Das gefällt mir sehr gut, weil ich gerne mal nachschlage, besonders, wenn mir die Namen der Protagonisten nicht geläufig sind.
Überhaupt: Ich mag die Aufmachung der Bücher sehr, angefangen beim wunderschönen Cover über den aufklappbaren Einband bis hin zum visuell angenehmen Textaufbau. Denn: Das Buch ist unterteilt in fünf Akte und sieben Tage. So etwas mag ich wirklich sehr! Und auch das Lektorat hat ausgezeichnete Arbeit geleistet :).

Ein rundum spannendes und haptisch angenehmes Leseerlebnis, das Lust auf mehr macht:
Fünf Sterne.

5sterne

Titel: Yoyogi Park
Autor: Andreas Neuenkirchen
Taschenbuch:
352 Seiten
Verlag: Conbook Medien
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3943176629

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Roppongi Ripper

Roppongi Ripper/ Andreas NeuenkirchenDas junge Ermittlerteam steht vor dem nächsten großen Fall: Ein Serienmörder treibt sein Unwesen und er mordet schnell und eiskalt. Sein Motiv ist zunächst unklar: Ist es tatsächlich nur Triebbefriedigung und die Opfer sind Zufallsopfer, oder mordet der Ripper nach Plan und aus Rache? Als wäre das noch nicht genug, geht es dieses Mal Yuka Sato an den Kragen, und sie muss ausgerechnet im Revier des Rippongi Ripper untertauchen …

Der erste Satz:

„Sie wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde.“

Dieses Mal hat das Buch einen Prolog, bevor es – wie in Band 1 – mit Akten und Tagen weitergeht; es ist Sommer, während es bei Yoyogi Park Frühling ist. Spätestens hier merkt man, dass die Bücher von Anfang an als Reihe gedacht waren.
Mein Eindruck ist, dass der Autor sich mit dem ersten Band nur „warmgeschrieben“ hat, denn dieser Band ist noch spannender und unterhaltsamer als der erste. Irgendwie erwartet man ja mittlerweile bei jeder Buch-Reihe (und davon gibt es heute ja unzählbare) einen rasanten Abstieg, aber Neuenkirchen folgt nicht diesem unerfreulichen Trend, sondern steigert sich. Darüber habe ich mich wirklich sehr gefreut :).

Die Aufmachung und der Aufbau des Buches sind ebenso schön wie im ersten Band, nebeneinander machen sich die Bücher wirklich toll im Regal <3. Manchen ist so etwas ja egal, aber ich freue mich, wenn ein Verlag dem Leser nicht nur einen guten Inhalt, sondern auch eine schöne Aufmachung anbietet.

Fünf Sterne.

5sterne

Titel: Roppongi Ripper
Autor: Andreas Neuenkirchen
Taschenbuch: 352 Seiten
Verlag: Conbook Medien
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3943176872

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Shinigami Games

Shinigami Games/ Andreas NeuenkirchenEs ist Herbst, und der Shinigami, der Sensenmann, ein gefährlicher Psychopath, hat es auf Polizisten abgesehen. Es folgt eine rasante Jagd quer durch Tokio, von der U-Bahn über den Fischmarkt durch die düstersten Viertel bis zum Berg Takao – aber Shinigami scheint Yuka Sato und den Ermittlern immer voraus zu sein. Offensichtlich wird er mit Insider-Informationen versorgt. Es gilt, diesen durchgeknallten Mörder aufzuhalten, bevor er einen Massenmord begehen kann …

Der 1. Satz:

„Die Polizistin war kein leichtes Ziel.“

Dieses Mal beginnt das Buch nach dem Personenregister mit einer Vorrundein der ein Spiel vorbereitet und ein erster Verlierer bestimmt wird.“ Danach geht es weiter, diesmal jedoch nicht mit Akten und Tagen, nein, das Buch ist in Runden aufgeteilt, wie bei einem Boxkampf. Und das trifft es ganz gut, denn auch wie bei einem Boxkampf, so wird auch hier das Tempo von Runde zu Runde hitziger und schneller – und ganz ehrlich, ohne Personenregister und Glossar wäre ich da so manches Mal verloren gewesen  :D. Insofern unterscheidet sich dieser Band ein wenig von den ersten beiden, aber diese Änderungen sind stimmig und passen gut zum Plot. Einmal mehr stelle ich fest, wie viel Liebe in jedes Detail dieser Bücher gesteckt wurde  <3.

Sprachlich ist auch dieses Buch wieder top.
Moderne Sprache, witzige Dialoge, ein nervenzerfetzender Plot in einer traditionsreichen – und vor allem traditionslebenden – Stadt: Man mag es kaum glauben, aber auch hier:
Fünf Sterne.

5sterne

Titel: Roppongi Ripper
Autor: Andreas Neuenkirchen
Taschenbuch: 352 Seiten
Verlag: Conbook Medien
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3958891067

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Ganz besonderes Lob

Man macht es als Leser und auch als Rezensentin viel zu selten, auch mal denen, die ansonsten an einem Buch beteiligt waren, Anerkennung zu zollen. So ein Buch entsteht ja nicht nur dadurch, dass ein Autor sich hinsetzt und etwas schreibt. Da gibt es beispielsweise die Lektorinnen und Lektoren, die viel viel mehr machen, als nur Rechtschreibfehler zu finden, und die oft nicht gemocht werden, weil sie auch Kritik anbringen und häufig auch mal Kämpfe mit dem Autor austragen müssen. Da sind die Grafikdesigner und die Layouter und noch viele mehr. Stellvertretend für alle habe ich mir hier zwei Damen herausgepickt, die bei allen drei Bänden mit an Bord waren.

Ob auch sie Kämpfe mit dem Autor austragen musste, wissen wir nicht, aber das Ergebnis ihres Lektorats sind drei rundum gelungene, außergewöhnliche Bücher, daher möchte ich an dieser Stelle der Lektorin Imke Sörensen herzlich für ihre Arbeit danken!

Und was wäre ein Buch ohne Einband und Cover? Gerade dies ist heute doch oft kaufentscheidend und daher sollte es aus der Menge der vielen Bücher mit Standardcovern herausstechen. Das ist hier absolut gelungen, finde ich, die Bücher sehen natürlich in echt um einiges schöner aus als auf den Bildern hier.
Vielen lieben Dank an Nicole Laka für diese schöne und stimmige Einbandgestaltung!

Kurzbiografie des Autors

Andreas Neuenkirchen arbeitet seit 1993 als Journalist, anfangs als freier Mitarbeiter im Feuilleton Bremer Tageszeitungen und Stadtmagazine, später als Redakteur online/offline in München. Er hat bereits mehrere Romane und Sachbücher mit Bezug zu Japan veröffentlicht. Derzeit lebt er mit seiner japanischen Ehefrau und ihrer gemeinsamen Tochter in Tokio.

Fazit

Andreas Neuenkirchens Romane zeichnen sich durch eine moderne, frische, flotte, oft auch witzige Sprache aus, die ihren Reiz ganz besonders dort entwickelt, wo alte japanische Traditionen in die Geschichte einfließen.

5sterne

So hält sich Yuka Sato ganz selbstverständlich an traditionelle Schicklichkeitsregeln und schneuzt sich beispielsweise nicht in der Öffentlichkeit. Sie verbeugt sich stets vor den Verstorbenen, und das sogar mitten im japanischen Großstadttrubel. Der Kontrast zwischen dem heutigen Tokio mit seiner Popkultur, seinem Lärm und Tempo, und den alten Werten, die inmitten dieses Chaos hochgehalten werden, hat mir sehr gut gefallen. Auch der Umgang der Ermittler untereinander zählt zu den Schmuckstücken, aus denen diese Bücher zusammengesetzt sind. Es macht Spaß, ihnen lesend über die Schulter zu schauen und den coolen und witzigen Dialogen zu folgen, die ebenfalls einen starken Kontrast zu den von denselben Leuten hochgehaltenen Traditionen darstellen.

5sterne

Dass der Autor selbst in Japan lebt, ist den Büchern deutlich anzumerken, die Beschreibungen sind detailreich und bildlich, und, wie mir versichert wurde, die Örtlichkeiten betreffend absolut korrekt. Als Leser ist man so mittendrin in der Geschichte und lernt Tokio und die Japaner kennen – und doch ist da irgendwie auch eine gewisse Distanz zu den Hauptfiguren.
Für mich war das eine gelungene Kombination, denn ich habe Yuka Sato und die anderen als höflich-distanziert empfunden, und diese Art der Beschreibung voller Details, aber eben auch Distanz, passt sehr gut zu den Charakteren.

5sterne

Dreimal fünf Sterne – ich glaub, so eine Serie hatte noch kein anderer Autor in meinem Blog :D. Alle drei Bücher haben mir viel Spannung, aber auch großen Spaß beschert, und da ja noch eine Jahreszeit fehlt, habe ich zarte Hoffnung, dass da noch was kommt … 😉

Von mir gibt es hier eine absolute Kaufempfehlung, also falls ihr last-minute noch ein Buchgeschenk zu Weihnachten sucht: Eure lokalen Buchläden können euch die Bücher, falls nicht vorhanden im Laden, noch bis Samstag bestellen :).

Andreas Neuenkirchen/ Yoyogi Park, Roppongi Ripper, Shinigami Games

Camilla Grebe/ Åsa Träf: Die Therapeutin

Siri Bergmann ist Psychotherapeutin und arbeitet gemeinsam mit ihrer besten Freundin in einer Gemeinschaftspraxis in Stockholm. Täglich befasst sie sich mit den teils grauenerregenden Schicksalen und Geschichten ihrer Patienten und hilft ihnen, ihr Leben in den Griff zu bekommen.
Doch sich selbst hat Siri längst nicht mehr im Griff. Erst musste sie den Verlust ihres Babys verkraften, kurz danach kam ihr Mann bei einem Tauchgang in vertrautem Revier ums Leben.
Siri hat panische Angst vor der Dunkelheit, trinkt zu viel, versucht, sich mit Arbeit von ihren eigenen traumatischen Erlebnissen abzulenken, und sie lebt einsam und abgeschieden in dem kleinen Haus am Meer, das sie mit ihrem Mann zusammen renoviert hat. Sie liebt das Haus, es erinnert sie an Stefan, sie will es nicht verlassen, obwohl es einen weiten Weg zur Arbeit bedeutet und obwohl es sie nachts schutzlos und einsam macht. Ihr einziger Gefährte ist ihr Kater, der ihr nachts Sicherheit gibt, während tagsüber ihre Kollegin und beste Freundin Aina versucht, Siri von ihrem tristen Leben abzulenken.Ihre Patienten vertrauen Siri – bis eine von ihnen plötzlich einen Warnbrief erhält und die Therapie abbricht. Dann verschwindet der Kater, und die Leiche eben jener Patientin taucht in der abgelegenen Bucht vor Siris Haus auf …

Vorweg: Normalerweise bekommen Rezensionen bei mir ja auch ein Bildchen vom Cover verpasst, sieht einfach netter aus und ganz ehrlich, so eine Rezension ohne Bild ist schon irgendwie nackt – in diesem Fall müsst ihr leider darauf verzichten, denn seitdem ich das Buch ausgelesen und allen davon vorgeschwärmt habe, ist es im Umlauf. Nach meiner Mutter und meiner Schwester hat es zwei Freundinnen besucht und ist nun aktuell bei der Mutter einer dritten Freundin zu Gast. Wir haben nun alle ein wenig Probleme mit der Dunkelheit, aber hey, für gute Bücher nimmt man das mal in Kauf. Und ihr bekommt dafür den scary Blick meiner Neugierkatze (die mich demletzt so manche Nacht wegen gruseliger Dinge um den Schlaf brachte)

alleswissenwollenCat ©buchjunkie.wordpress.com

Zuallererst mal: Puh. Nein, das reicht nicht: PUH.
Ich habe wirklich seit sehr langer Zeit keinen Spannungsroman mehr gelesen, der mir den Schlaf geraubt hat und der mich am Abend noch dreimal durch die Wohnung tigern ließ, um nachzusehen, ob auch wirklich alle Türen und Fenster verschlossen sind.

Die Autorinnen Camilla Grebe und Åsa Träf sind Schwestern, eine Psychologin, die andere in der Buchbranche tätig – und die beiden verstehen wirklich ihr Handwerk.
In manchen Rezensionen las ich, im Vergleich zu anderen Skandinavien-Thrillern seien diese Bücher lahm, das kann ich so nicht bestätigen. Camilla Grebe und Åsa Träf haben es geschafft, mich nicht nur emotional wirklich zu packen, sondern meine Urängste zutage zu holen; so etwas habe ich schon lange nicht mehr bei einem Buch erlebt.
Ich hab mit Siri so sehr mitgefühlt, mitgebangt, wollte nicht wahrhaben, was offensichtlich war … rundum ein nahezu perfektes Leseerlebnis.

Noch dazu bei einem Buch, das eigentlich gar nicht eingeplant war!
Ich reise ja seit einiger Zeit öfter mal durchs Land, stand an einem Bahnhof, wartete auf meinen viel zu verspäteten Zug, hatte die geplante Reiselektüre beendet –  und da lachte mich das Cover mit dem heimeligen Häuschen geradezu an (ja, ok, der 5€-Superrabatt half auch 😉 ), also kam das Buch mit, und noch im Zug war ich gefesselt. Der Weg durchs dunkle Berlin in meine leere Wohnung war dann eher weniger lustig, zu sehr war ich schon gefangen in dieser Geschichte der Verluste und Ängste, in der die Gefahren aus den unangeahnten Ecken kommen und stets im Dunkeln hervortreten. Ja, ich gebe sogar zu, meine allererste Tat nach dem nach Hause kommen war, die Katzen zu zählen. Man weiß ja nie. Und danach musste ich das Buch noch in derselben Nacht zuende lesen, denn ich hätte ohnehin kein Auge zubekommen.

Ich steh auf Thriller, auf Horror, auf Splatter – aber dieser kleine, unerhoffte schwedische Krimi, der doch eher seichter Natur ist und ohne überzogene Gewalt auskommt, dieser kleine Krimi hat mich wieder das Fürchten gelehrt. Ich ziehe meinen Hut vor den Autorinnen und diesem Erstlingswerk, das ich rundum gelungen finde.

Und, Confession No. 2: Zum ersten Mal würde ich rasend gerne ein Autorinnen-Interview führen, denn dieses Schwesternpaar schreibt nicht nur spannend, sondern scheint auch sonst einiges auf dem Kasten zu haben.
Fünf Sterne:
5sterne

 

Autorinnen:Camilla Grebe/ Åsa Träf
Titel: Die Therapeutin
Originaltitel: Någon sorts frid
Taschenbuch: 576 Seiten
Verlag: btb Verlag
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3442746781

Stephen King/ Doctor Sleep

Aus dem kleinen Danny Torrance, der vor über 30 Jahren im Hotel Overlook gegen seinen wahnsinnig gewordenen Vater ums Überleben ankämpfen musste, ist ein erwachsener Mann geworden. Dan ist Krankenpfleger, und ihn verfolgt nicht nur die Vergangenheit, sondern auch der Dämon Alkohol. Ohne es zu wollen, ist er seinem Vater immer ähnlicher geworden.

Ruhelos zieht er von Ort zu Ort, immer auf der Flucht vor seinem „Shining“, das er mit Drogen und Alkohol zu betäuben versucht – aber vor sich selbst kann man nur schwer davonlaufen.
Schließlich landet er als Pfleger in einem kleinen Ort in New Hampshire und entdeckt sein besonderes Talent, Sterbenden den Übergang zu erleichtern, was ihm den Spitznamen „Doctor Sleep“ einbringt. Er nimmt den Kampf gegen seine Sucht auf, findet Freunde, ein Zuhause – und jemanden, der ihm sehr ähnelt und seine Hilfe benötigt …

Stephen King/ Doctor Sleep

Ich kann mich kaum erinnern, schon mal so weit auseinanderklaffende Meinungen zu einem King-Buch gelesen zu haben. Die einen finden es so richtig scheiße, die anderen finden es fantastisch. Und ich siedel mich irgendwo dazwischen an.
Der größte Wurf von Stephen King ist es meines Erachtens nicht, auch wenn man wirklich beim Lesen gespürt hat, wie sehr ihm das Buch und die Geschichte am Herzen liegen und dass er unbedingt die Geschichte von Dan(ny) weitererzählen wollte. Die ersten 2/3 des Buches haben mir unheimlich gut gefallen, da stimmte alles, die Geschichte war gut strukturiert und fesselte mich. Und dann kam, was bei King ja leider öfter mal passiert: ein rapider Absacker.
Ich fand die letzten rund 150 Seiten einfach nur nervig.
Zu viele gewollt-spannungsgeladene Andeutungen, zerhackstückelte Kapitel und, auch das hat leider mittlerweile Tradition, eine immer schlechter werdende Übersetzung. Ich fand Dan nur noch nervig, ich fand Abra unerträglich und der zuvor doch ziemlich interessante „Wahre Knoten“ … naja. Schade.
Ich bin wirklich ein riesiger King-Fan, das wird sich in diesem Leben auch ganz sicher nicht mehr ändern, und ich hatte mich wahnsinnig auf die Fortsetzung von „Shining“ gefreut. Mich hat auch gar nicht gestört, was so viele andere Leser kritisieren, nämlich, dass der (christliche) Einfluss der Anonymen Alkoholiker sich mittlerweile zu stark in Kings Büchern widerspiegelt. Das finde ich im Grunde ok, die AA haben ihm geholfen, gesund zu werden und überhaupt noch am Leben zu sein, natürlich hat das Einfluss auf ihn.
Aber vielleicht sollte er sich wieder mehr Zeit beim Schreiben lassen. Die Bücher kommen in einem solchen Tempo heraus, dass es eigentlich nicht verwundern kann, dass das, was stark beginnt, zum Ende hin derart absackt. Offenbar versucht King, noch so viele Geschichten wie irgend möglich aufs Papier zu bekommen; und dafür sollten wir Leser eigentlich dankbar sein. Dennoch – ich würde bereitwillig auf einige Bücher verzichten, wenn sich dadurch die Qualität konstant hielte.

Autor: Stephen King
Titel: Doctor Sleep
Originaltitel: Doctor Sleep
Gebundene Ausgabe: 704 Seiten
Verlag: Heyne Verlag
gelesen auf: Deutsch
ISBN-10: 3453268555

Ben Aaronovitch/ Die Flüsse von London

„Alles begann an einem kalten Dienstag im Januar, morgens um halb zwei, als Martin Turner, Straßenkünstler und nach eigenen Worten Gigolo in Ausbildung, vor der Säulenhalle von St. Paul’s am Covent Garden über eine Leiche stolperte.“

Ben Aaronovitch: Die Flüsse von London

Frisch ausgebildet wartet Police Constable Peter Grant auf eine glorreiche Zukunft bei der Londoner Polizei – und wird zu seinem Entsetzen den Schnarchnasen zugeteilt, die den Papierkram erledigen sollen. Zum Glück stolpert er über den Fall der kopflosen Leiche und er befragt den einzigen Zeugen am Tatort, Nicholas Wallpenny. Unglücklicherweise ist dieser schon geraume Zeit tot, weswegen ihm natürlich niemand die Zeugenaussage abnimmt, jedoch zieht Peter so die Aufmerksamkeit von Chief Inspector Thomas Nightingale auf sich. Nightingale leitet eine ominöse Ein-Mann-Einheit, die offiziell zum Bereich „Wirtschaftskriminalität und Spezialermittlungen“ gehört, über die aber eigentlich niemand so recht Bescheid weiß.
Schlagartig ändert sich Peters Leben grundlegend, denn Nightingale beschäftigt sich tatsächlich mit allerlei Magischem und ist der letzte Zauberer Londons. Und schon findet sich Peter als Zauberlehrling wieder, der mit Flussgöttern, Vampiren und Geistern zu tun hat und mit ihrer Hilfe den Fall der kopflosen Leiche lösen muss …

Ben Aaronovitch ist ein Meister des Wortwitzes und der Urban Fantasy. Mit Peter Grant hat er eine Figur erschaffen, in die er viel autobiographisches einfließen lässt, zum Beispiel Erlebnisse mit seiner afrikanischen Mutter oder auch die Probleme, die er aufgrund seiner Hautfarbe schon zu meistern hatte. Was ihm noch mit der Figur Peter gemein ist, ist der trockene britische Humor, der jede noch so absurde Situation urkomisch werden lässt. Was sich auf den ersten Blick wie eine „Erwachsenenversion von Harry Potter“ liest (so umschrieb es ein Amazon-Rezensent, leider finde ich die Rezension nicht mehr, um sie hier zu verlinken), ist tatsächlich viel mehr. In der Welt von Peter Grant laufen im realen London vollkommen unerkannt magische Gestalten und Spitzbuben herum, die sich perfekt in die normale Welt integriert haben. Im einen Moment beschreibt Peter noch die Londoner Architektur (und das kann er wirklich sehr vorzüglich), im nächsten spricht er mit Vater Themse über die Zeit von Londons Entstehung. Hier wird nicht einfach nur gezaubert oder der Böse gejagt, hier lernt man etwas über Londoner Stadtgeschichte und Architektur, über die Londoner selbst und darüber, wie es ist, als Kind mit Migrationshintergrund in einem sozialen Brennpunkt aufzuwachsen. Das alles ist in eine temporeiche und witzige Erzählung verpackt, nichts wirkt verbittert oder anklagend, es ist einfach, wie es ist.

Dies ist Ben Aaronovitchs erster veröffentlichter Roman, er war zuvor jedoch schon als Drehbuchautor tätig, unter anderem für die grandiose TV-Serie Doctor Who (wodurch ich überhaupt erst auf ihn aufmerksam wurde); vielleicht gelingt es ihm aufgrund dieser Erfahrungen, so wunderbar bildlich zu erzählen.

Mir hat der erste Band der Reihe um Peter Grant ausgezeichnet gefallen, er hat mich gut unterhalten und Lust auf mehr Peter Grant und mehr magisches London gemacht.

Fünf Sterne.
5sterne

Autor: Ben Aaronovitch
Titel: Die Flüsse von London
Originaltitel: Rivers of London
Taschenbuch: 480 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3423213417

Stephen King/ Böser kleiner Junge


„Das Leben kann schön sein. Es kann es wert sein, dass man darum kämpft.“
„Für manches Leben gilt das bestimmt. Für meines nicht […]“

Stephen King: Böser kleiner Junge
George Hallas sitzt im Todestrakt und soll in Kürze hingerichtet werden. Er hat ein Kind getötet.
Bislang hat er zu seiner Tat geschwiegen, doch nun öffnet er sich seinem Pflichtverteidiger Leonard Bradley und erzählt ihm, wie ihn der böse kleine Junge mit der Propellermütze um einfach alles gebraucht hat, schließlich auch um sein Leben  …

Im November 2013 war Stephen King zum ersten Mal in Deutschland zu Gast. Man sagt ja immer, man solle möglichst nie seine Idole treffen, aber in diesem Fall habe ich es keine Sekunde bereut und bin unheimlich froh darüber, diesen einmaligen Autor einmal live getroffen zu haben.
Kurz nach seiner Reise kündigte er an, dass er von Deutschland und Frankreich so begeistert wäre, dass in Kürze eine Novelle zunächst nur auf Deutsch und Französisch erscheinen würde. Mit „Böser kleiner Junge“ hat er seine Ankündigung in die Tat umgesetzt.

„Böser kleiner Junge“ ist eine großartige, wenn auch kurze Novelle, sprachlich wie gewohnt famos und, wie die meisten seiner Bücher, mit Zitaten und Querverweisen zu seinen anderen Geschichten gespickt.

Viele Leser kritisieren die Kürze der Geschichte und empfinden sie als öde und langweilig – dem kann ich mich nicht anschließen, mir hat sie sehr gut gefallen und das war bislang nicht unbedingt bei jeder King’schen Kurzgeschichte der Fall.

Empfehlung!

Fünf Sterne.
5sterne

Autor: Stephen King
Titel: Böser kleiner Junge
Originaltitel: Bad Little Kid
Format: eBook/ ePup
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 62 Seiten
Verlag: Heyne Verlag

Angelika Felenda/ Der eiserne Sommer

„Ja, lesen S‘ nur, was da steht“, sagte Steiger. „Das ist wirklich unglaublich. Der Konvoi mit dem Erzherzog ist einfach weitergefahren, obwohl bereits eine Bombe auf die Fahrzeuge geworfen worden war. Null Sicherheitsvorkehrungen. Und dann hat sich der Fahrer auch noch verfahren! Und ist umständlich umgekehrt, damit der Attentäter ja genügend Zeit g’habt hat, die Majestäten totzuschießen.“
Reitmeyer blickte auf das Bild unter der Schlagzeile. „Der fährt in einem offenen Wagen durch Sarajewo? Durch ein Gebiet, das die Österreicher annektiert haben?“
„Sag ich doch!“, rief Steiger. Wenn der schon einen Besuch im Pulverfass von Europa machen muss, hätt‘ man wenigstens für einen anständigen Fahrer sorgen müssen, nicht so einen Hornochsen.“

Angelika Felenda/ Der Eiserne Sommer

Es ist Sommer 1914.
Der Kolonialismus ist auf seinem Höhepunkt, Europa greift nach der Welt, der Industrialismus hat die Gesellschaft verändert, politische Krisen an allen Ecken, kurz: Die Welt ist im Umbruch.
Und nun fällt auch noch Erzherzog Franz Ferdinand, der Thronfolger Österreich-Ungarns, gemeinsam mit seiner Gattin einem Attentat zum Opfer. Noch weiß man nicht, dass dieses Attentat der Auslöser des Ersten Weltkriegs sein wird und es wird auch noch einige Zeit dauern, bis der europäischen Bevölkerung das Ausmaß bewusst wird.

„Ein neuer Balkankrieg, meinen Sie? Ich weiß nicht“, sagte Reitmeyer. Er ging zu seinem Schreibtisch hinüber und starrte einen Moment auf die Aktenberge. „Wieder eine Krise.“ Dann drehte er sich zu Klotz um. „Aber haben wir nicht ständig Krisen? Mal geht’s um Nordafrika, das andere Mal um Bosnien. Vor drei Jahren haben wir alle gedacht, die zweite Marokkokrise wäre der Startschuss für den großen europäischen Krieg. Aber jedes Mal ist es wieder abgewendet worden. Man hat sich verständigt. Nichts ist passiert. Und selbst die ewigen Balkankrisen …“
„Der Balkan“, sagte Steiger verächtlich. „Ein Haufen Straßenräuber, Umstürzler und Terroristen. Ist längst an der Zeit, dass da drunten mal einer aufräumt.“

Trotz der Brisanz läuft das Leben in München in gewohntem Gang weiter und auch die Polizei hat wie üblich zu tun, denn Diebe und Mörder nehmen keine Rücksicht auf weltpolitische Krisen.
Eine Reihe von Todesfällen beschäftigt Kommissär Sebastian Reitmeyer. Besonders der anonyme Tote aus der Isar bereitet ihm Kopfzerbrechen, denn was zunächst nach Ertrinken aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als filigraner Mord.
Auf der Suche nach der Identität des Toten führt die Spur in Militärkreise, vor allem in das Café Neptun, einem Treffpunkt für Homosexuelle aus gutbürgerlichen Kreisen und dem Militär. Kommt der Mörder etwa aus diesen gehobenen Schichten? Gegen das Militär darf Reitmeyer nicht ermitteln, doch er will dem Täter unbedingt auf die Spur kommen und legt sich dabei mit jedem an, der ihn zu behindern versucht …

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„Der eiserne Sommer“ ist ein gelungener Debut-Roman, dessen Handlung sorgfältig zwischen Lokalkolorit und Weltgeschehen platziert ist.
Die Hauptfiguren – immer mal wieder mit Mundart versehen – sind interessant gezeichnet, und dank ihrer Blickwinkel bekommt man einen umfassenden Einblick in die damalige Zeit inklusive ihrer gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten und Ungleichbehandlungen. Man spürt die Umbruchstimmung quer durch alle Gesellschaftsschichten hindurch und die aufgeheizte politische Atmosphäre mit ihren Ressentiments und dem wachsenden Nationalismus, und man sieht in den dunklen, stinkenden Abgrund, der sich hinter der Maske von Sitte, Anstand und Moral verbirgt.
Das Ganze wird in einer leichten, bildreichen Sprache erzählt, die allerdings bisweilen etwas langatmig wird – vor allem am Ende hätten ruhig ein paar Seiten zusammengestrichen werden können, das hätte der gelungenen Geschichte keinen Abbruch getan.
Besonders gefallen hat mir, dass man dank Kommissär Reitmeyer einen interessanten Einblick in das pathologische Wissen und Vorgehen sowie die Ermittlungsmethoden der damaligen Zeit erhält.

Von mir gibt es für Kommissär Reitmeyers ersten Fall vier Sterne.
4sterne

Autorin: Angelika Felenda
Titel: Der eiserne Sommer
Taschenbuch: 435 Seiten
Verlag: Suhrkamp Verlag
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3518465422

Stephen King / Der Anschlag

BEWARE: Your presence in the past may have an adverse effect on the present!

Stephen King: Der Anschlag ©buchjunkie.wordpress.com

Am 22. November 1963 fielen in Dallas, Texas, drei Schüsse. John F. Kennedy starb, und die Welt veränderte sich für immer. Wenn man das Geschehene ungeschehen machen könnte – wären die Folgen es wert? Jake Epping kann in die Vergangenheit zurückkehren und will den Anschlag verhindern. Aber je näher er seinem Ziel kommt, umso vehementer wehrt sich die Vergangenheit gegen jede Änderung. Stephen Kings neuer großer Roman ist eine Tour de Force, die ihresgleichen sucht – voller spannender Action, tiefer Einsichten und großer Gefühle.

Jake Epping lebt ein normales Leben, bis sein Freund Al ihm ein großes Geheimnis enthüllt: Er kennt ein Portal, das ins Jahr 1958 führt. Und Al gewinnt ihn für eine wahnsinnige Mission. Jake soll in die Vergangenheit zurückkehren und das Attentat auf John F. Kennedy vereiteln, um den Gang der Geschichte positiv zu korrigieren. Und so beginnt für Jake ein neues Leben in einer für ihn neuen Welt. Es ist die Welt von Elvis und JFK, von großen amerikanischen Autos und beschwingten Highschool-Tanzveranstaltungen. Es ist die Welt des gequälten Einzelgängers Lee Harvey Oswald, aber auch die der Bibliothekarin Sadie Dunhill, die Jakes große Liebe seines Lebens wird – eines Lebens, das gegen alle normalen Regeln der Zeit verstößt. Und je näher Jake seinem Ziel kommt, den Mord an Kennedy rückgängig zu machen, desto bizarrer wehrt sich die Vergangenheit dagegen – mit aller gnadenlosen Gewalt, die sich auch gegen Jakes neue Liebe richtet …
[Quelle:  Randomhouse/ Heyne Verlag]

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Die Zeit, das alte Monster.
Stephen King und die Zeitreisetheorien – eine schier unendliche Geschichte. Zum Glück!

Wie Robert Harris in „Vaterland“, spielt Stephen King in „Der Anschlag“ (der übrigens sein 40. Roman ist) mit dem „Was wäre wenn“:
Was wäre, wenn der Anschlag auf John F. Kennedy verhindert worden wäre? Wäre die Welt heute eine bessere?

King beschränkt sich bei diesem Gedankenspiel aber nicht nur auf die politische Lage, die zweifellos weltweit anders verlaufen wäre, wäre JFK nicht ermordet worden, und er belässt es auch nicht bei einer in der Literatur oft anzutreffenden Aufbereitung des Schmetterlingseffekts.
Nein, King schafft es mal wieder erfolgreich, viele kleine Geschichten in der großen Rahmenhandlung zu platzieren, die alle für sich schon packend sind, ohne jedoch dabei den globalen roten Faden zu verlieren oder sich zu verzetteln. Dabei porträtiert er auf seine eigene Art die amerikanische Geschichte und die Person Lee Harvey Oswald – und berücksichtigt dabei auch nahezu alle gängigen Theorien rund um den weltberühmten JFK-Anschlag. Selbstverständlich ist auch eine gehörige Portion Gesellschaftskritik im Spiel. Man merkt dem Roman deutlich an, dass nicht nur enorm viel Arbeit in ihm steckt, sondern dass sich diese auch über viele Jahre, sogar Jahrzehnte erstreckt hat.

Immer wieder habe ich in seinen anderen Büchern und im King-Wiki nachschlagen müssen, weil mir dieser Name und jener Ort bekannt vorkam, und richtig: etliche Figure und Ideen nehmen Bezug auf frühere Werke des Schriftstellers, beispielsweise auf die Turm-Reihe oder „ES“. Gut, das mag für King-Kenner nun nichts wirklich Neues sein, und dennoch begeistert es mich immer wieder.

„The past is obdurate, it doesn’t want to change“

Und King schafft etwas, was man ohne Übertreibung als Meisterwerk bezeichnen kann: Nämlich, dieses wirklich dicke Buch mit einem perfekt austarierten Spannungsbogen und einem furiosen Schluss zu krönen, der mich vollkommen erstarrt und atemlos zurückgelassen hat.  Während die meisten Autoren zum Ende des Buches an Tempo nachlassen, nimmt King noch mal so richtig Anlauf und treibt das Tempo hoch und den Leser an seine Grenzen.
Man glaubt das ganze Buch über, erahnen zu können, wie es am Ende ausgeht – Irrtum. Und genau dieser Irrtum ist das Sahnehäubchen auf diesem fantastischen Roman, der für mich persönlich den besten aller bisherigen King-Romane darstellt (die Turm-Reihe mal ausgenommen, aber das versteht sich wohl von selbst).

Funfact: Passend zum Roman gibt es eine interaktive Website, auf der man „Al’s Diner“ im Jahr 1963 und im Jahr 2011 besuchen kann. Toll!

GROß-AR-TIG! Unbedingte Leseempfehlung – und zwar nicht nur für King-Fans!

Fünf Sterne+!

Autor: Stephen King
Titel: Der Anschlag
Originaltitel: 11/22/63
Gebundene Ausgabe: 1056 Seiten
Verlag: Heyne Verlag
gelesen auf: Deutsch und Englisch
ISBN-13: 978-3453267541

S. J. Watson / Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Unser Leben besteht aus Erinnerungen – doch was sind wir, nimmt man sie uns? Sind wir noch wir selbst, wenn wir uns an nichts erinnern?

Christine erlebt genau das. Jeden Morgen wacht sie auf, in einem Zimmer, das ihr fremd ist, neben einem Mann, an den sie sich nicht erinnern kann, zwanzig Jahre älter, als sie zu sein glaubte. Jeden Tag versucht sie, sich an ihr Leben zu erinnern und jede Nacht werden die Erinnerungen aufs Neue aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Christine leidet an einer seltenen Form der Amnesie, die Ärzte sind ratlos. Bis ein junger ambitionierter Arzt einen Weg findet, zu Christine und ihren verdrängten Erinnerungen durchzudringen. Doch die ersehnte Wahrheit, wie es zu ihrer Amnesie kommen konnte, birgt manches unangenehme Geheimnis …

Es war das Cover, das mich magisch anzog. Ich kann wohl froh sein, dass es in dieser Form im Laden lag und nicht in der inzwischen verbreiteteren Variante, denn das blaue Cover hätte mich das Buch wohl nicht einmal in die Hand nehmen lassen. Der Klappentext klang viel versprechend und auch der Beginn des Buches konnte mich fesseln. Was Christine erlebt, ihre Verwirrtheit, ihre verzweifelten Versuche, sich zu erinnern, dringen durch die Wahl des Präsens und die Ich-Form gut zum Leser durch, man ist quasi direkt dabei, begleitet Christine durch den Tag. Die Erinnerungen selbst werden in der Vergangenheitsform geschildert, was natürlich nur logisch ist – doch leider liegt auch genau darin die Schwäche des Buches. Der mittlere Teil besteht praktisch nur aus diesen Rückblicken und zieht sich stellenweise wie zäher Kaugummi.  Meiner Meinung nach hätte hier gut gestrafft werden können, es kommen einfach viel zu viele Wiederholungen auf, die zwar Christines Lage gut verdeutlichen, den Lesefluss und v.a. die Spannung aber extrem ausbremsen. Ich hatte zwischendurch kaum noch Lust, weiter zu lesen, doch zum Glück habe ich es getan, denn zum Ende steigert sich wieder das Tempo, wird die Erzählung wieder packend und das Buch wartet mit einer fulminanten Überraschung auf.

Der erste Satz:

Das Schlafzimmer ist seltsam.

Die Grundidee des Buches ist toll, die Erzählart weist jedoch Schwächen auf, die das Ende zum Glück einigermaßen ausgleichen kann. Nichtsdestotrotz reicht es so nur für drei Sterne.

Autor: S.J Watson
Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
Originaltitel: Before I go to Sleep
Broschiert: 464 Seiten
Verlag: Scherz
gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3651000087

Simone van der Vlugt / Klassentreffen

In der Kindheit eng befreundet, findet die Freundschaft zwischen Sabine und Isabel während der Pubertät ein jähes Ende. Isabel avanciert zum beliebtesten Mädchen der Schule und macht Sabine das Leben schwer. Doch eines Tages verschwindet Isabel spurlos, niemand hört je wieder etwas von ihr.
Neun Jahre später holt Sabine die Vergangenheit ein. Depressionen, Probleme auf der Arbeit, eine sich anbahnende Beziehung zu einem Freund aus der Jugendzeit machen ihr zu schaffen und dann steht auch noch ein Klassentreffen an. Immer öfter muss sie an damals denken: Was ist mit Isabel geschehen? Verdrängte Erinnerungen kämpfen sich an die Oberfläche und Sabine muss erkennen, dass sie mehr zu wissen scheint als sie bislang glaubte …

Ich glaube, dies war tatsächlich mein erster niederländischer Thriller und es war mein erstes Buch von Simone van der Vlugt, aber es wird sicherlich nicht mein letztes gewesen sein.
Gekonnt stellt sie die Charaktere vor und baut die Spannung langsam, aber konstant auf. Eh man es merkt, steckt man mitten drin in der Geschichte und kann das Buch kaum noch aus der Hand legen.
Die Sprache ist einfach gehalten, aber sehr präzise, die Sätze sitzen punktgenau und  damit schafft es die Autorin, ihre Leser so in den Bann  zu ziehen. Man stolpert nicht über irgendwelche pompösen Stilmittel, man gleitet einfach durch den Text und kann sich ganz der Geschichte widmen.
Und obwohl man zwischendurch immer wieder ahnt, was mit Isabel geschehen sein könnte und obwohl der mögliche Täterkreis sehr klein und übersichtlich ist, schafft es die Autorin doch, einen immer wieder auf eine andere Fährte zu führen.

Der erste Satz:

„Das letzte Stück fährt sie allein.“

Das Buch hat mir sehr gut gefallen, einen Stern Abzug gibt es nur, weil für mich am Ende doch noch ein, zwei offene Fragen geblieben sind. Insgesamt handelt es sich bei „Klassentreffen“ um einen wirklich fesselnden, atmosphärischen Thriller und ich kann es kaum erwarten, mehr von der Autorin zu lesen.

Autorin: Simone van der Vlugt
Titel:
Klassentreffen
Originaltitel: De reünie
Taschenbuch: 384 Seiten
Verlag: Diana Taschenbuch
gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3453351776

Stephen King/ Atlantis

Fünf Novellen, alle miteinander verbunden, obwohl sie zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten spielen und in jeder ein anderer Protagonist zu Wort kommt.
Die erste Geschichte spielt 1960, die letzte 1999 und mit ihr schließt sich der Kreis rund um die Hauptprotagonisten Bobby, Carol und Sully-John. Nicht jeder von ihnen taucht in jeder Geschichte auf, dennoch erfährt man etwas über sie, über ihren Werdegang, ihre Entwicklung und ihr Leben.
Kinder werden zu rebellischen Jugendlichen, die ihrerseits zu angepassten oder auch aufrührerischen Charakteren heranreifen, aneinander geraten, sich verlieren, sich in komplett verschiedene Richtungen entwickeln.
Ein weiteres zentrales Thema in allen fünf Novellen ist der Vietnamkrieg und seine vielfältigen Auswirkungen auf die amerikanische Gesellschaft, die auch im Jahr 1999 noch deutlich spürbar waren.

Stephen King hat mit „Atlantis“ eine sehr nachdenkliche Novellensammlung geschrieben, die so rein gar nichts mit Horror zu tun hat, sondern sich sehr kritisch mit der jüngeren amerikanischen Geschichte und Politik sowie der amerikanischen Gesellschaft auseinandersetzt.
Ein paar Fantasy-Elemente kommen selbstverständlich vor, vor allem in der ersten Novelle mit dem Titel „Niedere Männer in gelben Mänteln“. Vor allem hier taucht auch immer wieder ein Bezug zu Stephen Kings Meisterwerk, dem Zyklus rund um den „Dunklen Turm“, auf und wer die Bücher dazu gelesen hat, wird manchen Aha-Effekt erleben können. Doch trotz dieser Fantasy-Elemente ist das Buch keinesfalls zum Fantasy-Genre zu zählen und ebenso wenig zum Horror- oder Spannungsgenre. Spannung kommt zwar vor, aber nicht in dem Maße, wie man es eigentlich von King gewohnt ist.

Wer Stephen King bislang für einen untalentierten Schreiberling hielt, dessen Horizont nicht über Blut, Horror und Gemetzel hinaus reicht, der anspruchslose Bücher für anspruchslose Menschen schreibt (ja, diese Denke ist leider immer noch häufig anzutreffen), der wird hoffentlich durch „Atlantis“ endlich eines besseren belehrt.

Was ich an diesem Buch zu bemängeln habe, sind ein paar unschöne Übersetzungsfehler, über die man jedoch in Betrachtung des Gesamtwerks gelassen hinwegsehen kann. Außerdem finde ich das deutsche Cover im Vergleich zur amerikanischen Taschenbuchausgabe nicht sonderlich gelungen, auch wenn es sich natürlich so rein optisch sehr gut in die Neuauflagen der King-Bücher einfügt.

Der erste Satz:

Bobby Garfileds Vater hatte zu denen gehört, die schon mit zwanzig bis dreißig Jahren die Haare zu verlieren beginnen und so circa mit fünfundvierzig völlig kahl sind.

Bewertung:
Nichts anderes kommt in Frage als fünf Sterne.

Ein Song, der vor allem in der zweiten Novelle „Herzen in Atlantis“ immer wieder erwähnt wird und sich durch das gesamte Buch zieht, ist „96 tears“ von ? and the Mysterians, und wer ihn bisher nicht kannte, hat hier nun die Gelegenheit, sozusagen als Soundtrack zum Buch 😉

Titel: Atlantis
Originaltitel: Hearts in Atlantis
Autor: Stephen King
Taschenbuch: 800 Seiten
Verlag: Heyne Verlag (8. Februar 2011)
gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3453435711