
Fjodor Dostojewski im Jahr 1863
Inhalt:
Rodion Romanowitsch Raskolnikow ist ein Student der Rechtswissenschaft, über alle Maße intelligent und begabt, doch leider bettelarm. Er lebt in Sankt Petersburg in der Zeit um 1860. Den meisten seiner Mitmenschen ist Raskolnikow geistig überlegen, doch seine Armut macht ihm zu schaffen und hält ihn am Rande der Gesellschaft. Nach und nach kommt er zu der Überzeugung, dass es das Recht bestimmter „privilegierter“ und außergewöhnlicher Menschen sei, über Leben und Tod der ihnen Unterlegenen zu entscheiden, ohne dabei irgendwelche Gewissensbisse haben zu müssen.
Er entwickelt die Idee zu einem perfekten Mord, dessen Opfer seine geldgierige Pfandleiherin sein soll, die er für einen durch und durch schlechten, herzlosen Menschen hält.
Nicht nur seine eigene ärmliche Situation lässt Raskolnikow verzweifeln, auch die Briefe seiner Mutter und das Schicksal seiner Schwester lassen in ihm immer mehr die Wut über Menschen wie die Pfandleiherin anwachsen und er sieht sich auserwählt, der Menschheit in ihrer Entwicklung zu helfen und solche Menschen aus der Welt zu schaffen. Ganz nebenbei sieht er so die Gelegenheit, an ausreichend Geld zu kommen, um seine Lebenssituation zu verbessern.
Also setzt er seinen Plan in die Tat um und erschlägt die alte Pfandleiherin mit einem Beil. Doch womit er nicht gerechnet hat, ist das Auftauchen ihrer geistig zurück gebliebenen Schwester – in Raskolnikows Weltbild der Inbegriff der Unschuld, doch um nicht entdeckt zu werden, tötet er sie ebenfalls und entkommt nur knapp, ohne entdeckt zu werden. Geld und Reichtümer lässt er dabei zurück. Nach der Tat fällt er in einen seltsamen, fiebrigen Dämmerzustand voller Schuldgefühle, die ihn umso mehr überraschen, als dass er ja glaubte, als außergewöhnlicher Mensch kein derartiges Gewissen zu haben. Der Mord hat ihn verändert und die Polizei ist ihm auch bald auf den Fersen…
Meinung:
Meine Ausgabe von „Schuld und Sühne“ ist schon recht alt, sie stammt aus dem Aufbau- Verlag und ist aus dem Jahr 1971. Das Buch war ursprünglich im Besitz meines leider schon lange verstorbenen Onkels. Er gab diese Ausgabe irgendwann Anfang der 80er Jahre an meine Mutter weiter und von ihr erhielt ich sie dann, als ich etwa 15 oder 16 Jahre alt war. Das Buch sieht bestimmt nicht aus, als wäre es fast 40 Jahre alt, aber man sieht ihm an, dass es gelesen wurde. Oft gelesen wurde. Ich schätze, der Großteil geht auf mich, denn ich liebe dieses Buch sehr. Vielleicht, weil es eine Verbindung zu meinem Onkel ist, dessen Leben beinahe ebenso tragisch verlief wie das des Protagonisten.
Vielleicht aber auch nur, weil mich Dostojewski mit seiner Sprachmagie und der Geschichte einfach gepackt hat.
„Schuld und Sühne“ ist ein Krimi, gleichzeitig aber auch eine psychologische Abhandlung über das Wesen und das Schuldbewusstsein des Menschen.
Auch wenn das Buch schon recht alt ist, finde ich es leicht und flüssig zu lesen.
Die Charaktere sind haarklein ausgearbeitet, die Emotionen springen beim Lesen förmlich über, gleichzeitig schafft Dostojewski es aber auch, den Leser in der Perspektive des Beobachters zu halten. Man leidet und fühlt zwar mit, aber ist sich auch stets bewusst, dass Raskolnikow ein Täter und nur dadurch auch sein eigenes Opfer ist.Besonders die Diskrepanz im Charakter Raskolnikows ist einfach nur brilliant.
Mich persönlich fasziniert auch nach dem zehnten Lesen immer noch das Weltbild Raskolnikows zu Beginn des Buches. Seine Theorien des außergewöhnlichen und des wertlosen Menschen, die (wahrscheinlich nicht zufällig) an den Sozialdarwinismus des späten 19. Jahrhunderts erinnern und damit auch Rückschlüsse auf damalige gesellschaftliche Ansichten zulassen. Mit dem heutigen Wissen über das, was die Folge von Sozialdarwinismus, Eugenik und Rassenhygiene war, nämlich die grauenhaften Verbrechen des Nationalsozialismus an den vermeintlich „Minderwertigen“, liest man das Buch gleich noch aus einem ganz anderen Blickwinkel. Das mag allerdings auch nur mir so gehen und eine Art „Berufskrankheit“ sein 😉
Ich weiß nicht, wie oft ich das Buch mittlerweile gelesen habe, aber immer wieder entdecke ich etwas Neues. Als 16jährige ging es mir natürlich hauptsächlich darum, dass dort jemand an seiner eigenen Schuld zugrunde geht. Doch je älter ich wurde und je mehr Wissen ich über die Person Dostojewski und die Entstehungszeit des Buches sowie die nachfolgende Zeit ansammelte, umso mehr verschob sich mein Betrachungswinkel. Ich bin sicher, ich kann das Buch noch weitere fünf oder zehn Male lesen und werde doch immer wieder etwas neues entdecken und etwas plötzlich mit anderen Augen wahrnehmen. Das ist es, was „Schuld und Sühne“ für mich so überragend macht. Raskolnikow steht für so vieles, dass ich endlos darüber reden und schreiben könnte.
Meiner Meinung nach ist dieses Buch absolut zeitlos und ich kann mir nur schwer vorstellen, dass es jemals ein anderes Buch geben kann, das „Schuld und Sühne“ von Platz 1 meiner liebsten Bücher verteiben könnte.
Der erste Satz:
An einem der ersten Tage des Juli – es herrschte eine gewaltige Hitze – verließ gegen Abend ein junger Mann seine Wohnung, ein möbliertes Kämmerchen in der S . . . gasse, und trat auf die Straße hinaus; langsam, wie unentschlossen schlug er die Richtung nach der K . . . brücke ein.
Wertung:
Titel: Schuld und Sühne
Originaltitel: Prestuplenie i nakazanie/ Преступление и наказание
Autor: Fjodor M. Dostojewski
Erscheinungsjahr: 1866