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Paul Kohl/ 111 Orte in Berlin auf den Spuren der Nazi-Zeit

Peter Kohl: 111 Orte in Berlin auf den Spuren der NazisIch liebe liebe liebe es, mit einem Buch in der Hand (m)eine Stadt zu erkunden.

Nun lebe ich ja schon recht lange in Berlin, habe während meines Studiums jahrelang als Stadtführerin gearbeitet und allein deswegen ohnehin alles über die Stadt verschlungen, was mir so in die Finger kam. Wirklich Neues erwarte ich daher kaum noch von Berlin-Büchern, dieses Büchlein hat mir nun allerdings doch so einiges gezeigt, was ich noch nicht kannte, viel Vergessenes in Erinnerung gerufen und war mir in den letzten Wochen bei einigen Stadtspaziergängen ein treuer Begleiter.

Die meisten Sachen kannte ich zwar schon (bspw. die Blindenwerkstatt von Otto Weidt, das Jüdische Waisenhaus, die „Euthanasie“-Zentrale, die Comedian Harmonists, den Flakturm Humboldthain usw.), fand aber die Aufbereitung sehr gelungen.

So findet man die Beschreibung der Historie auf der linken Seite und auf der gegenüberliegenden Seite zwei Abbildungen, einmal aus der Zeit des Nationalsozialismus und darunter aus hePeter Kohl: 111 Orte in Berlin auf den Spuren der Nazisutiger Zeit, was die eindeutige Identifikation der Orte ermöglicht. Auch die Zusammenstellung der einzelnen Orte finde ich gut durchdacht.

 

Und dann waren da eben doch einzelne Sachen, die ich bislang nicht kannte.
Zum Beispiel wusste ich nicht, wo Adolf Hitlers Bruder seine Kneipe hatte, von der „Roten Kapelle“ hatte ich irgendwann zwar schon mal gehört, kannte aber weder Details noch den Ort und ebenso ging es mir mit der Fahnenfabrik Geitel, dem Großmufti von Jerusalem und seiner nationalsozialistischen Propaganda sowie dem Murellenberg.

Dadurch, dass das Buch vPeter Kohl: 111 Orte in Berlin auf den Spuren der Nazisom Titel her auf 111 Orte begrenzt ist, fehlen naturbedingt einige Orte, das tut dem Buch insgesamt aber keinen Abbruch.

Wer sich für Berlin und seine Geschichte während der Zeit des Nationalsozialismus interessiert und die Standard-Städteführer leid ist, wird an diesem Buch sicherlich Gefallen finden.

 

5sterne

Autor: Paul Kohl
Titel: 111 Orte in Berlin auf den Spuren der Nazi-Zeit
Broschiert: 240 Seiten
Verlag: Emons
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3954512201

Simone van der Vlugt / Klassentreffen

In der Kindheit eng befreundet, findet die Freundschaft zwischen Sabine und Isabel während der Pubertät ein jähes Ende. Isabel avanciert zum beliebtesten Mädchen der Schule und macht Sabine das Leben schwer. Doch eines Tages verschwindet Isabel spurlos, niemand hört je wieder etwas von ihr.
Neun Jahre später holt Sabine die Vergangenheit ein. Depressionen, Probleme auf der Arbeit, eine sich anbahnende Beziehung zu einem Freund aus der Jugendzeit machen ihr zu schaffen und dann steht auch noch ein Klassentreffen an. Immer öfter muss sie an damals denken: Was ist mit Isabel geschehen? Verdrängte Erinnerungen kämpfen sich an die Oberfläche und Sabine muss erkennen, dass sie mehr zu wissen scheint als sie bislang glaubte …

Ich glaube, dies war tatsächlich mein erster niederländischer Thriller und es war mein erstes Buch von Simone van der Vlugt, aber es wird sicherlich nicht mein letztes gewesen sein.
Gekonnt stellt sie die Charaktere vor und baut die Spannung langsam, aber konstant auf. Eh man es merkt, steckt man mitten drin in der Geschichte und kann das Buch kaum noch aus der Hand legen.
Die Sprache ist einfach gehalten, aber sehr präzise, die Sätze sitzen punktgenau und  damit schafft es die Autorin, ihre Leser so in den Bann  zu ziehen. Man stolpert nicht über irgendwelche pompösen Stilmittel, man gleitet einfach durch den Text und kann sich ganz der Geschichte widmen.
Und obwohl man zwischendurch immer wieder ahnt, was mit Isabel geschehen sein könnte und obwohl der mögliche Täterkreis sehr klein und übersichtlich ist, schafft es die Autorin doch, einen immer wieder auf eine andere Fährte zu führen.

Der erste Satz:

„Das letzte Stück fährt sie allein.“

Das Buch hat mir sehr gut gefallen, einen Stern Abzug gibt es nur, weil für mich am Ende doch noch ein, zwei offene Fragen geblieben sind. Insgesamt handelt es sich bei „Klassentreffen“ um einen wirklich fesselnden, atmosphärischen Thriller und ich kann es kaum erwarten, mehr von der Autorin zu lesen.

Autorin: Simone van der Vlugt
Titel:
Klassentreffen
Originaltitel: De reünie
Taschenbuch: 384 Seiten
Verlag: Diana Taschenbuch
gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3453351776

Gabriel A. Neumann / Masala Highway. Abenteuer Alltag in Indien

Kurzinfo:
Masala nennen sich die Gewürzmischungen, die Curry-Gerichten ihre unverkennbare Note geben. Je nach Region, Ort oder auch Haushalt werden sie anders zusammengestellt, süßlich, mild oder scharf. Genauso vielfältig wie die Masala-Varianten ist das Land selbst, aus dem die Mischung kommt: Indien.

Der Subkontinent ist die der Bevölkerungszahl nach größte Demokratie der Welt – zugleich bleibt es aber auch das Land der bemalten Elefanten, heiligen Männer und des scharfen Essens. Was an einem Maharaja im Land der Könige modern ist und wie man die richtige von neun Eisenbahnklassen wählt, erzählt der Autor, der das Land seit Mitte der neunziger Jahre bereist. Folgen Sie ihm auf seinem persönlichen Masala Highway: Namaste und willkommen in Indien!

Quelle: Dryas Verlag

Indien liegt seit Jahren im Trend, nicht zuletzt dank des weltweiten Erfolgs der Bollywood-Filme.

Indien, das bedeutet für viele Europäer und Amerikaner: exotische Mahlzeiten, überfüllte Städte, Dschungel, Yoga, Selbstfindung.
Doch Indien hat auch darüber hinaus viel zu bieten.

Gabriel A. Neumann schafft es, die typischen westlichen Vorstellungen von Indien mit den tatsächlichen Gegebenheiten in Einklang zu bringen, und das in einem vollkommen kitschfreien Reiseführer – seit „Eat Pray Love“ auch nicht mehr ganz selbstverständlich ;-).

Von Beginn an merkt man, dass der Autor selbst sehr indienerfahren ist, dass er auch abseits der ausgetretenen Touristenpfade unterwegs war, völlig untouristische Dinge entdeckt und erlebt hat.

Das Buch ist in mehrere Kapitel unterteilt, die so schöne Namen tragen wie „Die Zeit läuft anders auf Bahnsteig B“ oder „Auch Heilige müssen arbeiten“.
Im Detail befasst sich der Autor darin mit den Möglichkeiten des Reisens in Indien, mit der Religion, Bollywood und seinen Filmen, Tabus und Fettnäpfchen, Politik, den indischen Tieren und dem Alltag auf dem indischen Land. Alle Kapitel greifen ineinander, sodass man am Ende des Buches alle wesentlichen Bereiche zum Thema Indien-Reise touchiert hat. Garniert werden die Erzählungen mit einigen farbenfrohen und ausdrucksstarken Bildern, die ebenso wie der Text sehr vom eigenen Erleben des Autoren geprägt sind. Und zum Schluss kommt noch ein kleiner Anhang zum Thema Bollywood, in dem einige wesentliche Punkte des indischen Films erläutert werden – genau mein Ding, denn ich bin bekennender Bollywood-Fan ;-).

Das Buch ist keiner jener Reiseführer, die man immer dabei hat, um noch mal nachzuschlagen, sondern eher ideal zur Reisevorbereitung und zum „Appetit anregen“. Dabei ist es aber keinesfalls oberflächlich gehalten, sondern kratzt auch mal etwas kritisch an der Fassade.

Interessant und lobenswert: Mit dem Kauf des Buches wird der Verein „Deutsch-Indische Zusammenarbeit e.V.“ unterstützt, 50 Cent von jedem verkauften Buch gehen direkt an den Verein, der gemeinsam mit lokalen Partnern die Lebensbedingungen der armen Bevölkerung Indiens zu verbessern versucht.

Bewertung:
Das Buch hat mir sehr gut gefallen und meine Neugier auf Indien deutlich verstärkt.
Vier Sterne.

Titel: Masala Highway. Abenteuer Alltag in Indien.
Autor: Gabriel A. Neumann
Broschiert: 174 Seiten
Verlag: Dryas
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3940855183

Herzlichen Dank an BloggDeinBuch.

Hans Fallada / Jeder stirbt für sich allein

Um ausnahmsweise mal das Fazit vorweg zu nehmen: Dieses Buch ist ein Erlebnis. Ich habe die gekürzte Fassung bereits als Jugendliche gelesen und fand sie damals sehr beeindruckend, doch diese nun erstmals vollständige Fassung setzt die Messlatte noch einmal höher. Das Buch ist nicht nur beispielhaft, um den „Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Kleinen“ vor Augen zu führen, es gibt auch einen Eindruck davon, wie in unmittelbarer Nachkriegszeit mit dem Thema umgegangen wurde.

Unbedingte Leseempfehlung!

Achtung:
Folgende Besprechung enthält Aussagen, die auf die Handlung und den Ausgang des Buches hinweisen.
Ich spoiler sehr ungern, in diesem Fall lässt es sich zum Zweck einer eingehenden Besprechung allerdings nicht vermeiden.
Wer das Buch also noch lesen und NICHT wissen möchte, wie es endet, der liest bitte nicht weiter!

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Gern sagt man, jeder Einzelne könne durch sein Handeln etwas bewirken.
Ohne diese Vorstellung wäre das Leben doch recht trostlos, denn wer würde sich noch für eine Sache engagieren, wenn er davon ausgehen müsste, dass er nicht dazu beitragen kann, etwas zu verändern? Wir brauchen das Gefühl, etwas bewirken zu können und die Welt wenigstens im kleinen Rahmen mit zu gestalten. Und weil wir überzeugt sind, dass das Handeln jedes Einzelnen etwas bewirken kann, stellen wir uns gerne mit einer gewissen Arroganz hin und strafen jene, die nichts tun, die sich einfach in ihr Schicksal fügen, mit Überheblichkeit, manchmal sogar mit Verachtung.

„Warum habt ihr nichts getan?“, war eine beliebte Frage der Nachkriegsgeneration an Eltern und Großeltern. Noch heute zeigen viele Menschen nur Unverständnis dafür, dass sich die Mehrheit der Deutschen nicht gegen den Nationalsozialismus aufgelehnt hat; dass sie es einfach geschehen ließen.
Aber vielleicht gab es doch viele Menschen, die sich aufgelehnt haben, die gesagt haben „Ich nehme das so nicht hin!“. Im Kleinen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Die keine solche Bekanntheit erlangten wie die Scholls oder von Stauffenberg. Deren Aktionen praktisch lautlos ins Leere liefen.

Hans Fallada hält in „Jeder stirbt für sich allein“ den Spiegel vor.
Das wirklich Schockierende daran: Die Geschichte basiert zu Teilen auf einer wahren Begebenheit.

Das Ehepaar Anna und Otto Quangel ist ein durchschnittliches deutsches Paar, die klassischen „kleinen Leute“ aus dem Arbeitermilieu. Am Tag der Kapitulation Frankreichs erhalten sie die Nachricht, dass ihr einziger Sohn im Kampf gefallen ist. Während das nationalsozialistisch gesinnte Deutschland feiert, bricht für die Quangels die Welt zusammen. Nach einem zornigen Ausbruch Annas reift in Otto der Entschluss: Er macht nicht mehr einfach wortlos mit, er lehnt sich auf, gegen diesen Führer, der Söhne in den Tod und Mütter in die Verzweiflung treibt!
Er entwickelt einen Plan. Postkarten will er schreiben, auf ihnen soll die Wahrheit stehen über diesen Führer und über sein Regime. Ablegen will er sie dann in gut besuchten Häusern, wo sie von anderen Menschen gefunden und gelesen werden. In Quangels Vorstellung werden die Karten nicht nur gelesen, sie werden weitergereicht, diskutiert, sie sollen das Denken der Menschen verändern.
Notgedrungen muss er Anna in seinen Plan einweihen und die will ihren Mann unterstützen. Die Quangels, die ohnehin ein sehr abgeschiedenes Leben ohne soziale Kontakte pflegen, schotten sich noch mehr ab und schaffen es, aus Arbeiterfront und Frauenschaft ausgeschlossen zu werden, ohne den Verdacht des Verrats auf sich zu ziehen. Sonntag für Sonntag schreibt Handwerker Quangel seine Karten, in anonymer Druckschrift, mühsam, langsam, eine, höchstens zwei schafft er pro Tag. Anna sitzt daneben, macht Handarbeiten, hilft Otto, die richtigen Worte zu finden. Montags ziehen sie los, suchen die richtigen Häuser – nicht zu nah, sie wollen ja nicht den Verdacht auf sich ziehen, aber auch nicht zu weit entfernt, schließlich muss Otto pünktlich zur Schicht in die Fabrik. Welch Ironie, dass ausgerechnet diese Sorgfalt auf ihre Spur führen soll.
Was die Quangels nicht einkalkulieren: Niemand will die Karten. Niemand will sie lesen, niemand will sie weitergeben; sie erzeugen bei denen, die sie finden, nur Angst. Fast alle werden sie bei der Gestapo abgegeben, wo Kommissar Escherisch langsam die Schlinge zuzieht …

Während die Quangels den sprichwörtlichen kleinen Mann versinnbildlichen, hat Fallada aber auch an alle weiteren Prototypen der Gesellschaft gedacht und sie in sein Buch integriert. Fast alle leben sie im selben Haus wie die Quangels.
Da sind die Persickes: die Söhne bei der SS, der Jüngste -Baldur- sogar auf einer nationalsozialistischen Eliteschule, der Vater schwerer Alkoholiker, allesamt treue Nationalsozialisten, die nicht davor zurückschrecken, zu ihren Gunsten andere in die Pfanne zu hauen.
Der alte Kammergerichtsrat Fromm, der zurückgezogen lebt, selbst den Persickes Respekt einflößt und der das Richtige tun will und im Rahmen seiner Möglichkeiten auch tut.
Emil Barkhausen, ein arbeitsscheuer, kleinkrimineller Hallodri aus dem Hinterhof, dessen unzählige Kinder vielleicht, vielleicht aber auch nicht von ihm sind und dessen Frau regelmäßig fremde Männer im ehelichen Bett beherbergt.
Die Jüdin Frau Rosenthal, deren Mann deportiert wurde und die in Angst und Panik lebt und der Willkür der Persickes ausgesetzt ist, bis die Tragödie ihren Lauf nimmt.
Oder auch Trudel Baumann, die Verlobte des gefallenen Ottochen Quangels, die zunächst mit dem Kommunismus sympathisiert, dann jedoch ein ruhiges, abgeschiedenes Leben vorzieht, nur um schließlich doch im Keller der Gestapo zu landen.

Viele Figuren, die oft unnahbar wirken und deren Charakterisierung wie angerissen scheint, doch genau dieses manchmal Unkonkrete macht ihre Authentizität aus.

Die Sprache es Romans ist einfach, prägnant, wirkt manchmal rau und derbe.

In knapp vier Wochen soll Hans Fallada die Geschichte rund um die Quangels wie im Rausch niedergeschrieben haben. Nicht nur im übertragenen Sinne „wie im Rausch“ – Fallada war schwer morphiumabhängig, alkohol-, nikotin-, kokain- und schlafmittelsüchtig.
Der Dichter und spätere Kulturminister der DDR, Johannes R. Becher, war an der Entstehung des Buches maßgeblich beteiligt. Becher war auch Präsident und Mitbegründer des Kulturbundes, in dessen Besitz sich zahlreiche Prozessakten von exekutierten Widerstandskämpfern befanden. Heinz Willmann, späteres Gründungsmitglied des Aufbau-Verlags und Generalsekretär des Kulturbundes, brachte Fallada die Prozessakten des Ehepaars Otto und Elise Hampel, welches Widerstand gegen das NS-Regime geübt hatte, indem es regimekritische Postkarten und Briefe verbreitet hatte.
Zunächst lehnte Fallada die literarische Verarbeitung ab: „Er selbst habe sich im großen Strom mittreiben lassen und wolle nicht besser erscheinen, als er gewesen war.“ [„Jeder stirbt für sich allein“, Aufbau Verlag, Berlin 2011, Nachwort S. 689, nach: Heinz Willmann: „Steine klopft man mit dem Kopf“, Berlin 1977, S. 294f.]

Doch schließlich gewann Falladas Interesse die Oberhand, er begründete das in einem Essay folgendermaßen:

„Diese beiden Eheleute […] zwei bedeutungslose Einzelwesen im Norden Berlins, […] nehmen eines Tages im Jahr 1940 den Kampf auf gegen die ungeheure Maschinerie des Nazistaates, und das Groteske geschieht: der Elefant fühlt sich von der Maus bedroht.“

Gedenktafel Otto und Elise Hampel, , Amsterdamer Straße 10, Berlin-Wedding

©OTFW, Berlin / WikiCommons, GNU-Lizenz für freie Dokumentation

Die nun im Aufbau Verlag erschienene Ausgabe basiert auf dem Typoskript der Erstausgabe und zeigt den Roman erstmals in ungekürzter Originalfassung.
Die zuvor veröffentlichten Fassungen basierten auf der von Paul Wiegler lektorierten Fassung, die zahlreiche Streichungen enthielt. So fehlte bisher u.a. das 17. Kapitel und zahlreiche Stellen des Textes waren aus politischen und ideologischen Gründen gestrichen worden.
Diese Ausgabe enthält im Umschlag einen Stadtplan, was besonders für die, die Berlin nicht so gut kennen, sehr hilfreich sein kann, den Überblick über die Örtlichkeiten zu wahren.
Dazu kommt ein Anhang mit Glossar, biographischen Daten Falladas, Bildern und Nachwort.
Insbesondere die Bilder der Hampels und die Kopien aus deren Akten lassen die Geschichte noch lebendiger wirken, machen es noch unmöglicher, das Buch als „nur eine Geschichte“ abzutun.

Die Quangels/ Hampels haben anscheinend wie Don Quijote gegen die Windmühlen gekämpft und verloren. Doch heute, fast 70 Jahre später, erinnert man sich an sie; nicht nur in Berlin, sondern dank der Neuauflage des Aufbau Verlags und zahlreicher Übersetzungen sogar weltweit – die Hampels haben es geschafft, dank Hans Fallada zum Bestseller zu werden. Sie sind zu einem Inbegriff von Zivilcourage geworden und ihr Beispiel zeigt uns, dass wir sehr vorsichtig mit dem Vorwurf der Kollektivschuld umgehen sollten.

Titel: Jeder stirbt für sich allein
Autor: Hans Fallada
Gebundene Ausgabe: 704 Seiten
Verlag: Aufbau Verlag; Auflage: 8 (28. Februar 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3351033491

Johan Theorin / Blutstein

Die schwedische Insel Öland ist ein Ort voller Geheimnisse. Legenden aus alten Zeiten werden dort nicht nur nicht vergessen, nein, sie sind noch am Leben.

Blutstein, so nennen die Inseleinwohner die blutrot leuchtende Gesteinsschicht, die im Steinbruch von Stenvik bis zum heutigen Tag gut zu sehen ist. Verfärbt vom Blut aus den Schlachten zwischen Trollen und Elfen, so glauben sie.

An Elfen und ihre magischen Kräfte glaubt auch Vendela, die mit ihrem Mann, einem sehr von sich eingenommenen, unsensiblen Schriftsteller, auf die Insel ihrer Kindheit zurückkehrt. Immer wieder zieht es sie zum Elfenstein, einem großen Felsblock in der Alvar, auf dem sie als junges Mädchen Schmuck und Geld geopfert hat, um ihre Wünsche Realität werden zu lassen.

Auch Per würde gerne manche Wünsche Realität werden lassen. Zum Beispiel den Wunsch, dass seine kleine Tochter gesund wird. Oder dass er nicht mit dem verhassten Vater Jerry, einem ehemaligen Pornoproduzenten, der nun an Demenz leidet, in Verbindung gebracht wird. Doch leichter gesagt als getan. Jerry ist nicht nur verwirrt, er hat auch ernstzunehmende Feinde. Als Jerrys Arbeitshaus gemeinsam mit Jerrys Kompagnon in Flammen aufgeht, muss Per notgedrungen seinen Vater zu sich nach Öland holen. Dort hat Per das Haus eines Verwandten geerbt und lebt nun am Steinbruch, direkt neben Vendela und nicht weit entfernt von Gerlof.

Gerlof ist ein Alteingesessener Öländer und ehemaligem Schiffer mit einem Hang zur kriminalistischen Schnüffelei. Nun, im hohen Alter, will er eigentlich nur noch seine Ruhe und überzeugt Pfleger und Verwandte davon, seine letzten Tage nicht im Altenheim, sondern in seinem Haus in Stenvik verbringen zu dürfen. Meist sitzt er im Garten und liest die geheimen Tagebücher seiner geliebten, längst verstorbenen Frau. In ihren Tagebüchern schreibt sie von Trollen und Elfen, von ihrer Einsamkeit, dem Zusammentreffen mit einem seltsamen Jungen und anderen Sonderbarkeiten.
Für sich genommen bloße Erinnerungen, doch als Gerlof seine neuen Nachbarn kennenlernt, sieht er sie mit einem Mal in ganz anderem Kontext …

 

In seinem dritten Roman hat Johan Theorin erneut die Insel Öland in den Mittelpunkt gestellt. Die Figur Gerlof kennen aufmerksame Leser bereits aus „Öland“ und „Nebelsturm“, in letzterem hat man auch erfahren, wie Pers Verwandter, der ihm das Haus vererbt hat, ums Leben gekommen ist.
Alles greift ineinander und nimmt Bezug zu den zwei vorangehenden Büchern; und dennoch ist es nicht zwingend notwendig, diese gelesen zu haben, um von der Stimmung und Atmosphäre von „Blutstein“ mitgerissen zu werden. „Blutstein“ gehört zwar zur Öland-Reihe (aktuell sind hierfür wohl insgesamt vier Bände vorgesehen, es soll also mindestens noch einer folgen), ist aber ebenso ein eigenständiger Roman.

Mehrere Handlungsstränge verlaufen parallel und fließen am Ende zu einem gemeinsamen Kontext zusammen.
Einschübe aus der Vergangenheit schildern Vendelas Kindheitserlebnisse, die zum Verständnis sämtlicher Figuren und Geschehnisse beitragen.
Die Charaktere sind detailliert gezeichnet, jede Figur hat ihre Stärken und ihre Schwächen, ein gut-oder-böse-Klischee sucht man glücklicherweise vergebens, denn die Figuren sind so vielschichtig wie die Gesteinsschichten im Steinbruch von Stenvik.

Die Sprache Theorins ist gewohnt präzise und knapp gehalten. Es gibt keine langen Schachtelsätze, Abschweifungen oder Schnörkel, alles ist auf das Notwendige reduziert und genau dadurch entsteht die für Theorin so typische Atmosphäre.
Es handelt sich bei „Blutstein“ nicht um einen klassischen Krimi, es geht nicht um das Aufspüren des Täters, der spielt eher eine kleine, wenn auch am Ende nahezu einschlagende Nebenrolle.
Es geht um die Psychologie des Geschehens, um die Atmosphäre, es geht um Mythen, Legenden und einen Hauch Fantasy.

Johan Theorin ist für mich einer der überzeugendsten Autoren der letzten Jahre und ich freue enorm, dass auch sein dritter Roman an die Magie der beiden Vorgänger anknüpfen kann.

Der erste Satz:

Per Mörner hatte schwere Verbrennungen an seiner linken Hand, mehrere gebrochene Rippen und konnte nur noch verschwommene Umrisse erkennen.

Bewertung:
Volle Punktzahl: fünf Sterne.

 

Autor: Johan Theorin
Titel: Blutstein
Originaltitel: Blodläge
Gebundene Ausgabe: 445 Seiten
Verlag: Piper
gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3492054188

Tana French / Totengleich

Mord, Identätsdiebstahl und jede Menge Geheimnisse, damit wartet Tana French in ihrem zweiten Roman auf und wie schon bei ihrem Erstling versteht sie es, den Leser in ihren Bann zu ziehen.

Cassie Maddox, eine junge Polizistin, hat ein hartes Jahr hinter sich und ist aus guten Gründen vom Morddezernat in das Dezernat für häusliche Gewalt gewechselt.
Als sie zum Schauplatz eines Mordes gerufen wird, kann das nichts Gutes bedeuten – und tut es auch nicht: Das Mordopfer sieht nicht nur aus wie ihr Spiegelbild, sondern es hat sich eine Identität angeeignet, die Cassie selbst vor Jahren im Rahmen eines Undercover-Einsatzes erfunden hat.
Niemand weiß, wer die Tote wirklich ist, geschweige denn, warum sie ermordet wurde oder was sie dazu gebracht hat, eine falsche Identität anzunehmen und sich einer Gruppe von Außenseitern anzuschließen, mit denen sie in seltsamer Konstellation in der Einöde gelebt hat.
Cassies ehemaliger Chef entwickelt eine absurd anmutende Idee: Da bislang niemand vom Tod der Frau weiß, soll Cassie sich als die Tote ausgeben und wieder undercover gehen …

Nach „Grabesgrün“ konnte mich Tana French auch mit ihrem zweiten Roman davon überzeugen, dass sie eine Meisterin unter den Krimi-Autorinnen ist.

Mit „Totengleich“ knüpft sie dabei an die Handlung ihres ersten Romans an und erzählt die Geschichte von Cassie Maddox, die in „Grabesgrün“ eine der wichtigen Nebenfiguren darstellte.
Das Buch lässt sich jedoch auch problemlos ohne Kenntnis des Vorgängers lesen, da Tana French alle wesentlichen Geschehnisse, die zum Verständnis der Cassie Maddox beitragen, in die Handlung einfließen lässt.

Die Figuren sind fein gezeichnet, bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und die Autorin versteht es, alle Wesenszüge, sowohl die sympathischen als auch die unsympathischen, glaubhaft zu vermitteln. Besonders der Aspekt, dass wirklich jede Figur und dem Buch über angenehme und unangenehme Charakterzüge verfügt, hat mir sehr gut gefallen, man findet hier also kein klischeehaftes Schwarz-Weiss-Schema mit den Guten auf der einen und den Bösen auf der anderen Seite. Durch geschickt ausgearbeitete Handlungsstränge gelingt es der Autorin, eine Atmosphäre der Spannung zu erzeugen, manchmal sogar mit Gänsehautbonus.

Dennoch bekommt „Totengleich“ keine ganz so gute Bewertung von mir wie sein Vorgänger, denn zwischendurch gab es doch die eine oder andere Passage oder Schilderung, die mir etwas langatmig erschien.

Alles in allem ein solider Krimi und ich freue mich bereits darauf, in Kürze Tana Frenchs dritten Roman lesen zu können.

Der erste Satz:

Manchmal Nachts, wenn ich alleine schlafe, träume ich noch immer vom Whitethorn House.

Bewertung:
Vier Sterne.

 

Autorin: Tana French
Titel: Totengleich
Originaltitel: The Likeness
Gebundene Ausgabe: 784 Seiten
Verlag: Scherz
gelesen auf: Deutsch
ISBN-13: 978-3502101925

Jürg Altwegg und Roger de Weck / Sind die Schweizer die besseren Deutschen?

Das Verhältnis zwischen Deutschen und Schweizern ist ein Thema, das in den letzten Monaten besonders hier in der Schweiz kontrovers diskutiert wurde und eine gewisse Spannung in sich birgt.
Dabei haben Schweizer und Deutsche ja durchaus viel gemeinsam – und sei es nur der argwöhnische Blick auf die Eigenheiten des anderen…

Immer mehr Deutsche ziehen in die Schweiz. Vielen von ihnen schlägt, offen oder verdeckt, Feindseligkeit entgegen. Den Schweizern scheint jeder Anlass recht, die Deutschen nicht zu mögen. Die Medien heizen die Stimmung an, einige Deutsche wehren sich, der Vorwurf der Arroganz steht gegen den der Fremdenfeindlichkeit. Haben die Schweizer ein Problem mit den Deutschen – oder mit sich selbst? Und wie geht es bei alledem den Schweizern in Deutschland? Jürg Altwegg und Roger de Weck, die Herausgeber der Bestseller-Anthologie „Kuhschweizer und Sauschwaben“, haben prominente Autoren gebeten, von ihren Erfahrungen zu berichten. Das ultimative Handbuch zur Deutsch-Schweizer Nachbarschaftshilfe.

Quelle: Hanser Literaturverlage

Monatelang lag dieses Buch auf meinem Nachttisch, immer wieder habe ich es zur Hand genommen, noch mal diesen Beitrag und jenes Gedicht gelesen, darüber nachgedacht. Das wird sicherlich auch so bleiben, denn es lohnt sich, die einzelnen Beiträge immer mal wieder zu lesen und sacken zu lassen.

In der Schweiz herrscht vielerorts dicke Luft zwischen Schweizern und Deutschen, dieser Konflikt hat die Landesgrenzen auch längst verlassen.
In diesem Buch findet man nun eine Sammlung von Texten und Gedichten, einige von Deutschen, andere von Schweizern und viele stellen die Frage: Haben die Schweizer wirklich ein Problem mit den Deutschen – oder doch eher mit sich selbst?

Da ist der ewige Fußballkonflikt zwischen der Schweiz und Deutschland, der die Gemüter bei jedem Länderspiel hoch kochen lässt.
Jürg Altwegg schildert unter anderem diesen Fußballkonflikt in seinem Beitrag „Keine Mauer am Rhein“ und zeichnet das Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz anhand ihrer Fußballbegegnungen nach, die in direkter Relation zu den jeweiligen politischen Verhältnissen standen. Noch nie war Fußball für mich so interessant ;-). Es ist wirklich faszinierend, wie sich politische Verhältnisse im Sport widerspiegeln können.

Auch spricht Altwegg in seinem Beitrag den schweizinternen Konflikt zwischen den Welschen (den französischsprachigen Schweizern) und den Deutschschweizern an – wofür ich sehr dankbar bin.
Viele Bücher und viele mediale Beiträge unterschlagen praktisch die Existenz der Romandie. Wenn von der Schweiz geredet wird, ist die deutschsprachige Schweiz gemeint. Nicht die Romandie, nicht das Tessin, obwohl beide unbestritten ebenso fester Bestandteil der Schweiz sind.
Ich lebe in der Romandie, hier kann man nur sehr bedingt das Problem zwischen den Deutschschweizern und den Deutschen nachvollziehen (was dem Deutschschweizer die Deutschen, sind dem Romand die Franzosen – eine Hassliebe). Hier stößt es sauer auf, wenn von gewissen Politikern aus der Deutschschweiz propagiert wird: „In der Schweiz spricht man Deutsch!“.
Nein, meine lieben Politiker. In der Schweiz spricht man Deutsch, aber auch Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Die französischsprachigen Schweizer lernen Deutsch inzwischen meistens als Fremdsprache (wenn überhaupt). Hochdeutsch in den meisten Fällen. Und tun sich dann entsprechend schwer mit Schwiizerdütsch und sind froh, wenn man hochdeutsch mit ihnen spricht (obwohl es ihnen grundsätzlich am liebsten ist, wenn man französisch parliert, aus diesem Grund geben die wenigstens Romands zu, überhaupt die deutsche Sprache zu beherrschen – aber das ist ein anderes Thema …).
Doch fatalerweise mögen viele Deutschschweizer grad das Hochdeutsche nicht, es ist ihnen zu deutsch, das Idiom ist heilig, es ist ihre Identität, doch leider blockiert es auch die inländische Kommunikation.
Die Katze beißt sich im eigenen Land in den Schwanz.

In den einzelnen Beiträgen des Buches ist die Rede von der Liebe zu Land und Leuten, von der tief in uns allen verwurzelten Verbundenheit zur eigenen Heimat und Herkunft, von Mentalitäten und Identitätsgefühlen. Beides ist bei Schweizern und Deutschen gleichermaßen vorhanden, wird jedoch zuweilen verschieden ausgelebt.

Hatte ich anfänglich einfach nur wieder eins dieser Bücher erwartet, die Klischees bedienen und die gegenseitige Abneigung noch mehr fördern, wurde ich angenehm überrascht.
Klischees kommen nur am Rande vor und dienen meist dem Verständnis, die Beiträge sind allesamt fair, meist sogar liebevoll gegenüber dem Anderen.

Berührt hat mich der Briefwechsel zwischen Isabell und Peer Teuwsen, zwischen Mutter und Sohn, die 1971 in die Schweiz gekommen sind und sowohl Hass als auch Freundschaft kennenlernen durften, die hinterfragen, was Identität ausmacht, und das Ganze auf einer sehr persönlichen, fast schon intimen Ebene.

Ebenso berührt hat mich „Heimatort: Deutschland“ von Geri Müller, der Deutscher, Schweizer und Franzose in Personalunion ist und die Konflikte somit aus dreifacher Position heraus betrachten kann.Oder Sibylle Bergs Liebeserklärung in „Mein Schweiz-Museum“. Oder Felix. E. Müllers kritische, politische Betrachtung des „Muttermythos“.

Eigentlich könnte ich nun an dieser Stelle alle Beiträge aus dem Buch aufzählen, denn jeder hat etwas, das zum Nachdenken anregt. Ob da nun die Schweizer von ihrer Wahrnehmung der Deutschen schreiben und ihren Erfahrungen in Deutschland, oder die Deutschen von ihren Erlebnissen in der Schweiz und mit Schweizern: Es wird erklärt, erzählt und am Ende steht fest, dass wir uns alle sehr ähnlich sind.

Was wir wahrnehmen, hängt doch größtenteils davon ab, was wir wahrnehmen WOLLEN. Es ist unsere persönliche Einstellung, die zwischen Abneigung und Zuneigung entscheidet und nicht selten hängen wir genau dazwischen fest, nehmen die Vorurteile wahr, beziehen aber selbst nicht Stellung, weil wir gar nicht wissen, wo wir denn überhaupt nun genau stehen. Auch das kann seinen Reiz haben – und reizen.

 

Titel: Sind die Schweizer die besseren Deutschen?
Herausgeber: Jürg Altwegg und Roger de Weck
Broschiert: 160 Seiten
Verlag: Nagel & Kimche/ Hanser Literaturverlage
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3312004577

Herbert Beckmann / Mark Twain unter den Linden

„I don’t believe there is anything in the whole earth that you can’t learn in Berlin except the German language.“
[Mark Twain nach seinem Aufenthalt in Berlin im Winter 1891/92]

Mark Twain liebt die deutsche Sprache und Berlin – aber die deutsche Sprache und Berlin lieben nicht unbedingt zurück. Kein Fettnäpfchen lässt der beliebte amerikanische Schriftsteller während seines Berlin-Aufenthaltes aus, düpiert die deutschen Verwandten, den Adel und obendrein auch noch den Kaiser höchstpersönlich. Zum Glück hat er seinen treuen Sekretär Harris, der sich um die daraus resultierenden Probleme kümmert…

Aus dem Klappentext:
Berlin, 1891. Der Kaiser steht stramm, um Mark Twain zu empfangen. Wissenschaftler wie Virchow und Helmholtz schmücken sich mit seinem Besuch. Und beim amerikanischen Botschafter geht er mitsamt seiner Familie ein und aus. Als Mark Twain im Herbst und Winter des Jahres 1891 in Berlin lebt, kann er sich über öffentliche Würdigungen nicht beklagen. Doch hinter der heilen Fassade spielen sich mysteriöse Dinge ab: Twains Scherze kommen nicht bei allen gut an, er wird von einer fremden Frau verfolgt, und auch die Berliner Unterwelt scheint sich auf einmal für den Schriftsteller und seine Familie zu interessieren …

Quelle: Gmeiner

Eigentlich hatte ich vor, das Buch im Rahmen der historischen Challenge zu lesen, aber da ich die entsprechende Zeit bereits durch ein anderes Buch abgedeckt hatte, musste es nun einfach so just for fun dran glauben. 😀 Mit Betonung auf FUN.
Ich hab richtig viel Spaß an diesem Buch gehabt!

Da man über den Aufenthalt der Familie Twain in Berlin nicht allzu viel weiß, blieb dem Autor umso mehr Spielraum für seine Geschichte.

Erzählt ist das Geschehen aus der Sicht von Mark Twains Sekretär Harris (da dieser nicht in der Liste der historischen Personen aufgeführt ist, kann man wohl von einem erdichteten Sekretär ausgehen).
Die bekannten Fakten über die Twains in Berlin sind aufgelockert mit fiktiven Episoden,  in denen zahlreiche historische Persönlichkeiten (hier seien auszugsweise Oscar Wilde, Kaiser Wilhelm oder Theodor Mommsen genannt) und Anekdoten auftauchen.

Der Zeitgeist des Jahres 1891 ist ganz wunderbar getroffen und die Berliner Örtlichkeiten sehr bildlich beschrieben. Man sieht förmlich die dunkel gekleideten, distinguierten Herren im Billardzimmer vor sich, man spürt den aufkeimenden Antisemitismus und kann den infernalischen Krach am Potsdamer Platz erahnen.
Am meisten lebt das Buch vom Wortwitz des Autoren, der wirklich sehr gut zum Humor Mark Twains passt und beim Lesen für ein Dauergrinsen sorgt.
Von mir aus hätte das Buch auch gerne doppelt so lang sein dürfen ;-).

Den Namen Herbert Beckmann werde ich mir auf jeden Fall gut merken und ich freue mich schon sehr auf weitere Bücher des Autoren!

Der erste Satz:

„Packen Sie ihre Siebensachen, Harris.“

Bewertung:
Fünf Sterne.

 

Autor: Herbert Beckmann
Titel: Mark Twain unter den Linden
Broschiert: 276 Seiten
Verlag: Gmeiner
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3839210512

Robert Brack / Blutsonntag

©Edition Nautilus Mein Name ist Klara Schindler. Ich werde einen Menschen töten. Vorsätzlich, aber nicht aus niedrigen Beweggründen, es ist meine Pflicht … Geht das so? … Wenn ich jetzt zurückspule, kann ich mich dann hören?

– Mein Name ist Klara Schindler. Ich werde einen Menschen töten …

Tatsächlich … aber es klingt eigenartig. Ist das wirklich meine Stimme?

Die Kommunistin Klara Schindler, selbstbewusste Reporterin der Hamburger Volkszeitung, hat mit einer neuen technischen Errungenschaft der Sowjetunion, einem Magnetophon, Zeugen über die Geschehnisse des sogenannten Altonaer Blutsonntags am 17. Juli 1932 befragt. Sie will die Aussagen möglichst genau dokumentieren, um damit die Lügen der Hamburger Polizei, der preußischen Behörden und der Presse über die Straßenkämpfe zwischen SA und Kommunisten aufzudecken.

Sie findet heraus, dass die Opfer allesamt von einem Kommando der Hamburger Polizei unter dem Befehl von Oberleutnant Kosa erschossen wurden.

Da niemand etwas gegen die deutlich sichtbaren Putsch-Aktivitäten der Nazis tut und die Mörder vom Staat geschützt werden, entschließt Klara sich zur Selbstjustiz …

Quelle: Edition Nautilus

Meinung:
Am 17. Juli 1932 kam es während eines Aufmarsches der SA durch das überwiegend kommunistische Altona zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, in deren Folge 18 Menschen getötet wurden. Dieser Tag sollte als „Altonaer Blutsonntag“ in die deutsche Geschichte eingehen.

18 Tote, das mag aus heutiger Sicht nicht so dramatisch klingen, erzählen uns doch die Nachrichten täglich von schlimmen blutigen Auseinandersetzungen in dieser oder jener Ecke der Welt, von soundsoviel Toten hier, soundsoviel Opfern da. Aber unter dem Aspekt der Außerkraftsetzung der demokratischen Verfassung Preußens als direkte Folge des Altonaer Blutsonntags und der Machtergreifung der Nationalsozialisten im darauf folgenden Jahr bekommt dieses Ereignis eine nicht zu unterschätzende Bedeutung.

Bis heute sind sich die Historiker uneins über den genauen Ablauf des Blutsonntags, wer wann zuerst auf wen geschossen, wer nun genau wen getötet hat. Man kennt die Ergebnisse – die Opfer, die Angeklagten, die Hingerichteten, die politischen Konsequenzen- und ansonsten gibt es eine ganze Menge „wahrscheinlich“, „vielleicht“, „möglicherweise“ und „vermutlich“.
Sich mit diesem Thema belletristisch zu befassen kommt einer Gratwanderung gleich, will man dem Anlass gerecht werden.

Es ist schon eine Weile her, dass mir die Auseinandersetzung mit einem Buch so an die Nieren gegangen ist.
Ich habe mich während meines Studiums recht intensiv mit der der SA-Gewalt befasst und wusste also in etwa, was inhaltlich mit diesem Buch auf mich zukommen würde.

Ich war allerdings nicht auf die Sprache Robert Bracks gefasst, die es mir praktisch unmöglich gemacht hat, Distanz zu wahren.

Klara Schindler und ihre Zerrissenheit, die kleinen Hinterhöfe und Mietskasernen, die schmutzigen Kneipen, die Aggressivität, Armut, Trostlosigkeit, die aufgeheizte politische Stimmung, das geschehene Unrecht werden lebendiger, als man es erwarten sollte und so manches Mal habe ich mich sehr unwohl gefühlt, wollte das Buch am liebsten weglegen, noch lieber vor der Geschichte davon laufen, mir am liebsten einreden: „Es ist doch nur eine Geschichte!“.
Ja, es ist eine Geschichte, aber der Blutsonntag hat unleugbar stattgefunden. Es ist eine Geschichte über unsere Geschichte und wenn man sich auch noch in Hamburg und Umgebung auskennt oder einfach schon mal dort war, dann wird diese Geschichte noch greifbarer.

Robert Brack hat es geschafft, die politischen Spannungen des Jahres 1932 auf dem Papier lebendig werden zu lassen und zeichnet sich dabei durch eine äußerst genaue Recherche aus. Er bediente sich für die geschilderten Details bei zeitgenössischen Zeitungsartikeln, Polizeiberichten, Spitzelprotokollen und dokumentierten Zeugenaussagen und das merkt man dem Buch deutlich an, das macht es so besonders bildhaft.

Natürlich ist der Fokus hauptsächlich auf die Protagonistin und ihr kommunistisches Umfeld gerichtet.
Klara geht auf die Straße, ausgerüstet mit einem russischen Tonbandgerät, befragt die Menschen und will so herausfinden, was wirklich geschehen ist.
Die Berichte der Menschen, so erfährt man es im Nachwort, basieren auf authentischen Zeugenaussagen, die nur wenig bis gar nicht verändert wurden.

Möglicherweise fällt es dem Leser, der ohne jegliche Vorkenntnisse zu diesem Buch greift, an manchen Stellen schwer, dem Geschehen zu folgen. Das sollte jedoch kein Grund sein, nicht zu diesem Buch zu greifen.
Man sollte sich jedoch im Vorfeld darauf einstellen, dass es kein Buch ist, das sich einfach runter liest, es ist kein Wohlfühlbuch, sondern macht nachdenklich und wühlt auf.

Eine Leseprobe und nähere Informationen zu Buch und Autor findet man auf den Verlagsseiten der Edition Nautilus.

Bewertung:
Was mich so berührt, so exakt recherchiert und dann auch noch mit so viel Gefühl formuliert ist, bekommt die Höchstnote.

 

Titel: Blutsonntag
Autor: Robert Brack
Broschiert: 256 Seiten
Verlag: Edition Nautilus
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3894017286

Klaus Uhlenbrock / Der Lingwurm

Klaus Uhlenbrock: Der Lingwurm.Inhalt:
Geköpfte Schafe und ein Frauenmord: ein rätselhafter Mörder gibt der Schweizer Kriminalpolizei Rätsel auf. Er zieht von Kanton zu Kanton, reißt den Schafen auf mysteriöse und brutale Weise den Kopf ab und tötet anschließend auf einer der Weiden eine junge Frau. Schon mehrfach ist er auf diese Weise vorgegangen, doch fehlt der Polizei bislang jede Spur.

Dann wird im Wallis das erste geköpfte Schaf gefunden und der junge Oberwalliser Polizist Philip Stoffel sieht sich vor der schwierigen Aufgabe, gemeinsam mit dem nicht unbedingt sympathischen und definitiv besessenen Berner Kommissar Mangold  den nächsten Frauenmord zu verhindern…


Meinung:
Ein Krimi, dessen Handlungsort nahe des eigenen Wohnorts liegt: da liest man natürlich noch mal mit anderen Augen.
Mein Fazit: Das Oberwallis unterscheidet sich doch sehr vom Unterwallis ;-). Da der Autor selbst eine zeitlang im Oberwallis gelebt hat, gehe ich davon aus, dass er das Leben dort recht gut kennt und so, wie die Menschen dort im Buch geschildert werden, sind sie hier bei uns ganz und gar nicht. Fast möchte ich sagen „zum Glück“, denn sie wirken doch oft sehr hinterwäldlerisch. Die Oberwalliser, die ich kenne, sind alles andere als das, sagen aber selbst, dass man ihnen genau diese Eigenschaft oft nachsagt und eine Oberwalliser Zeitung bestätigte in einem Artikel, dass Klaus Uhlenbrock die Figuren sehr authentisch schildern würde. Na dann ;-).
Die Handlung ist an sich recht spannend und kreativ, wird für meinen Geschmack zum Ende hin dann aber doch zu hanebüchen.
De Schreibstil ist manchmal etwas holperig und hat mir an einigen Stellen nicht wirklich gefallen, insgesamt liest sich das Buch aber flüssig. Ich glaube, der Autor kann das besser.
Trotzdem fand ich es schön, mal wieder einen Regio-Krimi mit Schauplatz Schweiz zu lesen.

Der erste Satz:

Philip Stoffel sah auf die fremdländischen Kennzeichen hunderter von Autos, die seit den frühen Morgenstunden das Oberwallis durchquerten.

Bewertung:
Die Handlung hat mich zum Ende hin nicht mehr überzeugt und was mich wirklich stellenweise gestört hat, waren die Schreibfehler ( vor allem fehlende oder falsch gesetzte Kommas – da mag ich kleinlich sein, aber es stört mich eben, auch wenn es sich hier noch im Rahmen hielt).
Zwei Sterne.

 

Autor: Klaus Uhlenbrock
Titel: Der Lingwurm
Broschiert: 292 Seiten
Verlag: Tecklenborg
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3939172291