[Gastrezension] Paul Auster / Unsichtbar

Amy liest gern und viel und schreibt wunderschöne Rezensionen, bislang jedoch nur für ihre Freunde. Ich freue mich sehr, dass sie sich nun entschlossen hat, in Zukunft gelegentlich die eine oder andere Gastrezension für diesen Blog zu verfassen :).

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Paul Auster: Unsichtbar ©Rowohlt VerlagIch habe zwei Lieblings-Schriftsteller: Der eine ist Paul Auster, der andere Stewart o’Nan. Stil und Sprache sind bei beiden von absoluter Perfektion, dennoch könnte ihre Intention unterschiedlicher nicht sein. Stewart o’Nan liebt die Menschen und sucht nach dem Guten selbst in der blassesten, unbedeutendsten Seele; Paul Auster blickt mit Kühle und Faszination in die Abgründe derselben. In die Abgründe von jedem von uns. Er seziert Leben wie der Pathologe Leichen.
Seine Spezialität ist das Buch im Buch. Die Geschichten seiner Protagonisten sind stets auf geheimnisvolle Weise miteinander verwoben – und als Leser bleibt man manchmal verstört, manchmal empört, manchmal seltsam beschmutzt zurück. Als würde er auch uns anklagen, uns zwingen, einen Blick in unseren eigenen Abgrund zu wagen – und zu erschauern. Er lässt uns zweifeln, ob das Gute wirklich existiert.

„Unsichtbar“ handelt von der Bosheit des Menschen, von Berechnung und Kalkül, vor allem aber von Rache.
Ein idealistischer Student trifft Ende der 1960er in den USA  auf seinen vermeintlichen Gönner und verfällt  in dessen Abwesenheit für kurze Zeit seiner Gefährtin. Vermutlich gibt diese kurze und leidenschaftliche Affäre den Startschuss für einen Strudel von Gewalt und Begierde und Besessenheit. Vermutlich.
„Unsichtbar“ trieft vor Sex, vor ungehemmter Lust, vor verbotener Lust.
Paul Auster serviert sie uns in nicht unappetitlicher Weise, trotzdem lässt uns der Eindruck nicht los, dass sie zu einer großen Portion Anteil hat an der sich langsam entwickelnden Schlechtigkeit des jungen Mannes.
Binnen kürzester Zeit sind anfangs völlig Unbeteiligte in einem Netz aus Unglück und Verzweiflung gefangen – und, wie immer bei Paul Auster, stellt man sich die Frage: Womit fing es an, wer hat Schuld? Niemand – oder doch alle, jeder auf seine eigene Weise?

Paul Auster fordert mich intellektuell, keine Frage. Nicht EIN Wort, nicht EIN Satz steht ohne Grund geschrieben, jede einzelne Aussage, der Wechsel von Ich-Erzählung zum Roman aus der Sicht einer zweiten oder dritten Person ist bedeutsam und zwingt dem Leser eine aufmerksame, angespannte Lektüre auf.
Paul Auster bereichert mich nicht, niemals. Er fördert weder das Beste aus mir selbst zutage, noch lehrt er den Glauben an das Gute in der Welt, im Gegenteil: Er erinnert schonungslos, fast unbarmherzig an die eigene Unvollkommenheit, die eigene Schwäche, Bosheit, Ich-Sucht.
Auch dahinter steht Absicht.
Paul Auster möchte nicht moralisieren im Sinne von: Tut Gutes, euphorisiert Euch an guten Werken, dann wirst Du, dann bist Du gut.
Paul Auster möchte versöhnen, den Leser versöhnen, MICH versöhnen mit der Schwäche meines Gegenübers, mit der Schwäche aller Menschen auf der Welt.
Versöhnung mit Deiner und meiner Schwäche wiederum entlastet von allzu hochfahrenden Ansprüchen an die Welt im Allgemeinen und mich selbst im Speziellen.
Jedes Mal nach Beendigung (s)eines Romans fällt es mir leichter, zu vergeben: Den von Lust und Gier und Hass und Schmerz Getriebenen überall um mich herum – und vor allem mir selbst.

Autor: Paul Auter
Titel: Unsichtbar
Originaltitel: Invisible
Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Verlag: Rowohlt
gelesen auf: Deutsch
ISBN-10: 3498000810

2 Gedanken zu „[Gastrezension] Paul Auster / Unsichtbar

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